Frankenstein Junior - Opernhaus - Kultur Nr. 180 - Oktober 2023

Herrlich schräge Gruselkomödie

Transsilvanien, die Heimat Draculas, hat zwar mit Mary Shelleys berühmtem Schauerroman nichts zu tun, aber vor dem schrägen Humor des amerikanischen Komikers Mel Brooks ist halt kein Ort sicher. 1974 kam seine Horrorfilmparodie Young Frankenstein in die Kinos, 2007 machte er ­daraus zusammen mit seinem Ko-Autor Thomas Meehan das Musical Frankenstein Junior, das vom Broadway aus das Londoner ­Westend eroberte und inzwischen auch mehrfach auf deutschen Bühnen zu erleben war. Brooks selbst schrieb die Musik und die Songtexte. Die deutsche Übersetzung wird zwar nicht allen sprachlichen Gags gerecht, ist aber gut verständlich. Mitunter lohnt sich ein Blick auf die Übertitelung mit dem englischen Originaltext.

In einem transsilvanischen Dorf tragen die Bewohner den alten ­Victor Frankenstein zu Grabe, der mit allerhand Menschenexperimenten Aufsehen erregte. Die Trauer hält sich in Grenzen. Nur Inspektor Kemp weiß, dass es einen Enkel in New York gibt. Prompt erscheint auf der Bühne Dr. Frederick Frankenstein, der jenseits des Atlantiks als angesehener Gehirnphysiologe ein höchst renommiertes Institut leitet. Mit seinem berüchtigten Vorfahren will er nicht in Verbindung gebracht werden und besteht auf der Aussprache seines Namens als „Fronkensteen“. Doch als Erbe des großväterlichen Schlosses muss er die Reise nach Transsilvanien antreten. Schon die abenteuerliche Fahrt per Schiff, Eisenbahn und Kutsche in Schwarz-Weiß-Film-Optik ist ein echtes Zuschauervergnügen. Die witzige Inszenierung von Jens Kerbel und das Bühnenbild von Momme Hinrichs mit Videos von Judith Selenko setzen effektvoll die ganze Theatermaschinerie in Bewegung vom gruseligen Laborkeller mit geheimnisvoller Drehtür bis zu in den Bühnenhimmel schwebenden Lotterbetten.
Musical-Spezialist Jürgen Grimm und seine 13-köpfige Band liefern einen fabelhaft flotten Soundtrack zu der irren Geschichte – ein Sonderlob verdient das Sounddesign von Tontechniker Stephan Mauel. Und das eigens für diese Produktion engagierte spielfreudige Gesangs- und Tanz-Ensemble agiert großartig. Allen voran Mathias Schlung als seriöser Wissenschaftler Frederick Frankenstein, der bald der Faszination des Ortes erliegt und sich an die Erschaffung eines künstlichen Menschen begibt. ­Michael Heller als Diener Igor mit wanderndem Buckel überzeugt ebenso wie Kara Kemeny als Assistentin Inga mit freizügigem Dirndl-Dekolleté (Kostüme: Verena Polkowski) und frecher Jodel-Einlage auf dem Heuwagen. Ein bisschen Heidi im schrillen Gruselkabinett, was den jungen Frankenstein nicht ganz kalt lässt und zu praktischen Forschungen am weiblichen Körper veranlasst.
Als unberührbare Diva gibt sich Carina Sandhaus als Frankensteins Verlobte Elizabeth, die ihrem zukünftigen Gatten hinterherreist und schließlich den animalischen Reizen seines Geschöpfes erliegt. Ethan Freeman gibt das hühnenhafte Monster, dem durch Igors Unachtsamkeit leider das falsche Gehirn eingepflanzt wurde.
Daniela Ziegler verkörpert herrlich bizarr die merkwürdige Frau Blücher (wie im Film wiehern die Pferde bei jeder Nennung ihres Namens), einst die Geliebte des alten Frankenstein: „Denn es war Liebe!“ Der bekannte Schauspieler Hans-Jürgen Schatz gibt den für Recht und Ordnung sorgenden Inspektor Kemp und den blinden Eremiten, der aus Versehen das Monster anbrennt und damit den irrwitzigen Show-Down in Gang setzt. Das Monster wird in einem Varieté vorgeführt – Irving Berlins Ohrwurm „Putin‘ on the Ritz“ mit virtuoser Stepp-Einlage (Choreografie ­Sabine ­Arthold) gehört zu den Glanznummern der Aufführung. Das traumatisierte Monster flieht unter Mitnahme von Elizabeth in den Wald. ­Frederick landet am Galgen. Aber durch liebevolles Zureden und eine spektakuläre Intelligenzübertragung wird aus dem unzivilisierten Geschöpf ein charmanter Entertainer, der seinen Schöpfer wieder zum Leben erweckt. Happy End mit Doppelhochzeit, auch der Geist des alten Frankenstein (Nico Hartwig), der Dorfnarr Ziggy (Bernard Niemeyer) und das ganze weitere tänzerisch und sängerisch hervorragende Ensemble dürfen mitfeiern. Filmfans erkennen dabei auch einige Anspielungen auf Horrorklassiker wie „Es“ und „Shining“.
Niemeyer, seit über einem Jahrzehnt am Jungen Theater Bonn engagiert, hat übrigens für den erkrankten Regisseur Jens Kerbel ­kurz­fristig die Leitung der Endproben übernommen und die amüsante Produktion mit sicherer Hand ins Ziel gesteuert. Manche mögen Anstoß nehmen an diversen Zweideutigkeiten und sexuellen Anspielungen. „Frankenstein Junior“ ist jedoch eine groteske Parodie, die die alten Klischees des Genres vergnüglich auf die Schippe nimmt. Dem Theater Bonn gelang damit jedenfalls ein perfekter Start in die neue Spielzeit – zu verdanken auch dem im April verstorbenen Operndirektor Andreas K.W. Meyer, der sich vehement für dieses Musical eingesetzt hatte.
Langer begeisterter Premieren-Applaus mit Jubelrufen und stehenden Ovationen.

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. Pause
Der mittlerweile 97-jährige Mel Brooks erhält den Ehren-Oscar 2023 für sein filmisches Lebenswerk. Wie kürzlich bekannt wurde, wird die Preisverleihung wegen des Streiks der Drehbuchautoren in Hollywood jedoch verschoben auf das Frühjahr 2024. E.E.-K.

Freitag, 01.12.2023

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 20:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn