Iwein Löwenritter - Opernhaus - Kultur Nr.169 - März 2022

Iwein Löwenritter
Foto: Thilo Beu
Iwein Löwenritter
Foto: Thilo Beu

Große Abenteuerreise in die Ritterwelt

Eine auf den Bühnenvorhang der Oper projizierte prächtige Palastfassade verlockt zum Blick ins geheimnisvolle Theaterland. Ebenso wie die Musik, mit der das großartige Beethoven Orchester Bonn unter der energischen, feinsinnig nuancierten Leitung von Daniel Johannes Mayr das Publikum auf die Handlung einstimmt. Es ist eine Rittergeschichte, und edle, mutige Ritter faszinieren die Welt seit über tausend Jahren. Bis hin zu heutigen Fantasyromanen und -filmen. Am Anfang der überaus einfallsreichen Inszenierung von Aron Stiehl steht ein Klassenausflug in den Zoo. Leon und Gereon finden das nicht besonders aufregend und lümmeln sich gelangweilt vor dem Tor. Doch dann taucht ein sprechender Löwe auf und lädt die Jungs in eine andere Welt ein. Plötzlich ist dort ein großer grüner Wald mit zahlreichen singenden Tieren, und die beiden Schüler verwandeln sich in die Freunde Iwein und Gawein, angesehene Mitglieder der berühmten Tafelrunde des Königs Artus. Die Zeit ist aufgehoben in der fabelhaften Theatergegenwart.
Der Löwe ist der überzeugende Berichterstatter der laufenden Ereignisse: „Ich muss es wissen, ich war nämlich dabei.“ Das entspricht auch der Erzählhaltung der Schriftstellerin Felicitas Hoppe in ihrem 2008 erschienenen Kinderbuch Iwein Löwenritter, in dem sie das um 1200 verfasste große Versepos des Dichters Hartmann von Aue (eine mittelhochdeutsche Übertragung des altfranzösischen Ritterromans von Chrétien de Troyes) wunderbar einleuchtend neu vorstellt. Die Autorin Andrea Heuser, Gattin des Komponisten Moritz Eggert, hat daraus ein Libretto geschaffen, das dem Stoff seine historische Distanz lässt, ihn aber trotzdem emotional ganz nah heranholt. Der Chor, vorzüglich einstudiert von Marco Medved, singt etliche Passagen in der alten mittelhochdeutschen Originalsprache. In heutigem Deutsch gesprochene und gesungene Texte wechseln sich ansonsten ab und machen alle Geschehnisse unmittelbar plausibel.
Moritz Eggerts vielschichtige Komposition bringt das Ganze fabelhaft zum Leuchten. Nicht einfach illustrativ, sondern als mitunter subversiven Kommentar zu den Vorgängen. Tonale Magie und melodiöser Zauber verbinden sich munter mit schrägen Klängen und frechen Dissonanzen. Spitze Vierteltöne und sphärische Harmonien, dramatischer Kampflärm, wilde Gewitterstürme und fröhliches Vogelgezwitscher, zarte Gefühle und Sehnsuchtsmomente – das ist großes Kino für die Ohren. Erfahrene Opernfreunde mögen dabei kleine Verweise auf Richard Wagner und seinen Schüler Engelbert Humperdinck entdecken, aber der Sound ist auch für Musiktheater-Einsteiger ein unwiderstehliches Vergnügen.
Das Löwenhaupt teilt sich der Puppenspieler Christoph Levermann mit dem jungen Bassbariton Michael Krinner, Träger des Förderpreises der Bonner Opernfreunde, der dem König der Tiere seine beeindruckende Gesangsstimme leiht. Den abenteuerlustigen Iwein verkörpert hervorragend der russische Tenor Anton Kuzenok. Der tapfere junge Ritter will sich Ruhm und Ehre erobern, entfacht am magischen Brunnen der Landes Nebenan ein wüstes Unwetter, tötet im Kampf den alten Burgherrn und verliebt sich in dessen schöne junge Witwe Laudine, bezaubernd gesungen und anrührend gespielt von dem Bonner Ensemblemitglied Lada Bocková. Die beiden tauschen sogar ganz konkret ihre Herzen: Die Sängerinnen Ava Gesell und Sarah-Lena Winterberg verkörpern als lebendige Figuren die beiden Organe, die nun in der jeweils anderen Brust schlagen. Doch Freund Gawein (der Bariton Jakob Kunath) ermahnt Iwein, sein Leben nicht nur dem ritterlichen Minnedienst zu weihen, sondern wieder neue Herausforderungen zu suchen. Iwein schwört Laudine, in genau einem Jahr zu ihr zurückzukehren, vergisst über seinen vielen siegreichen Kämpfen jedoch sein Versprechen. Als er seine Verfehlung erkennt, verliert er den Verstand und findet Zuflucht bei dem Wilden Mann, der auf einer Waldlichtung im Einklang mit der Natur lebt und für Frieden unter den Tieren sorgt. Der Bass Pavel Kudinov spielt dieses selbstgenügsame Geschöpf ebenso eindrucksvoll wie die wüsten Gestalten, die Iwein noch bezwingen muss, um an der Seite Laudines sein Glück wiederzufinden.
Da gibt es einen feuerspeienden Drachen, dessen riesige Füße – von Komparsen geführt – herumtrampeln. Iwein rettet einen weißen Löwen vor dem schrecklichen Ungeheuer und gewinnt so einen treuen Freund. Mit dessen Hilfe besiegt er einen furchterregenden Riesen ebenso wie einen doppelgesichtigen Bösewicht und weitere Gegner. Kostümbildner Sven Bindseil hat für die zahlreichen Figuren ein fabelhaftes Erscheinungsbild entworfen: Wie in Bilderbüchern haben sie nur eine bunt bemalte flache Vorderseite. Manchmal wirken sie wie Scherenschnitte oder Theaterfigurinen. Allein Iwein und Gawein tragen ‚echte‘ Kostüme und agieren als dreidimensionale Gestalten in dem Fantasieraum, den Bühnenbildner Thomas Stingl mit ständigen visuellen Überraschungen vom wuchernden Urwald bis zum Schattenspiel belebt hat.
Im zweiten Akt verwandelt sich Szenerie in ein Schachspiel, brillant beherrscht von Laudines kluger Hofdame Lunete, die schon zuvor etliche Handlungsfäden sorgsam verknüpft hat. Die international gefragte Mezzosopranistin Katharina von Bülow ist gesanglich und darstellerisch der heimliche Star der auch in allen anderen Partien exzellent besetzten Uraufführung.
Felicitas Hoppe hat die Gestalt der Lunete gegenüber dem mittelalterlichen Original deutlich aufgewertet zu einer selbstbewussten Frau, die sich mit Geschick und Intelligenz in der männlichen Ritterwelt behauptet. Nun ist die erfahrene Taktikerin selbst durch Intrigen an Laudines Hof in höchster Gefahr und braucht ritterlichen Beistand. Iwein begreift, dass der Kampf um seinen persönlichen Ruhm nicht alles sein kann und setzt seine Stärke nun ein für Schwächere und für die Gerechtigkeit. Er befreit Arbeitssklavinnen in einer Bekleidungsfabrik (ein kleiner Hinweis auf die heuten Verhältnisse) und sorgt dafür, dass der Erbstreit zwischen zwei Schwestern friedlich ausgeht. Laudine ist mit Iweins männlichem Herzen selbst eine Ritterin geworden, die ihr Reich gegen Feinde verteidigen kann. Ihrem geliebten Gatten verzeiht sie schließlich sein Verlangen nach Abenteuern. Am Unwetterbrunnen meldet sich der „Löwenritter“ mit Donner, Blitz und Sturm zurück. In Laudines Burg finden alle freudig wieder zusammen, und der Löwe wird das Märchenglück beschützen.
Die beiden Jungs haben bei ihrem Zoobesuch eine Menge erlebt und gelernt. Überaus unterhaltsam ganz ohne pädagogischen Zeigefinger. Wer dabei zugeschaut und -gehört hat, wird die wundervolle Abenteuerreise in eine fantastische Ritterwelt voller Klang- und Bilderspaß so bald nicht vergessen. Bei der Preview für das junge Zielpublikum wurden die Akteure umjubelt wie Pop-Stars. Der begeisterte Beifall bei der offiziellen Premiere ließ keinen Zweifel daran: Diese neue Familienoper ist ein musikalisch-sinnliches, hinreißend inszeniertes Bühnenereignis! Für Kinder (ab 8 Jahren) wie für alle anderen Altersgruppen! E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Std., inkl. Pause

Dienstag, 01.03.2022

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Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn