Don Carlo - Oper - Kultur Nr. 168 - Januar/Februar 2022

Don Carlo
Foto: Thilo Beu
Don Carlo
Foto: Thilo Beu

Großartiges Musiktheater um Macht und Freiheit

Immer wieder ziehen finstere Wolken auf am Himmel über Spanien. Grau und kalt erscheint dieses unter Kaiser Karl V. zur Weltmacht aufgestiegene Land nicht nur der jungen Prinzessin Elisabeth von Valois, Tochter der französischen Königin Katharina von Medici. Elisabeths unbeschwerte Jugend geht jäh zu Ende, als sie im winterlichen Wald von Fontainebleau auf den spanischen Infanten Don Carlo trifft, der inkognito nach Frankreich gereist ist, um seine Verlobte in Augenschein zu nehmen. Fraglos eine politisch arrangierte Ehe, um den langen Krieg zwischen Frankreich und Spanien zu beenden. Aber gleich bei der ersten Begegnung verlieben sich die beiden jungen Leute so unsterblich ineinander, dass nicht mal die havarierte Kutsche am Weg ihr Glück stören kann. Es kommt anders: Elisabeths Page bringt die Nachricht, dass sie nicht Carlos heiraten wird, sondern dessen Vater Philipp. Fast tonlos klingt ihr „Si“, mit dem für das junge Paar alle eben erst geweckten Gefühle erstickt werden. Wie das Feuer, das Carlos zuvor fürsorglich entzündet hatte, damit seine Braut sich ­daran die Hände wärmen konnte.
Der Regisseur Mark Daniel Hirsch, der sich nach fast einem Vierteljahrhundert am Theater Bonn als seine Abschiedsinszenierung ­aus­drücklich Don Carlo gewünscht hatte, arbeitet hier viel mit symbolisch aufgeladenen Bildern. Der erfahrene, international renommierte Ausstatter Helmut Stürmer hat dafür mächtig dunkel drohende Kulissen entworfen. Düster ist das Kloster San Juste, mit dem Grabmal ­
Karls ­V., schwarz die hohe Fassade der Kathedrale, vor der im dritten Akt das große Autodafé stattfindet. Die Ketzerverbrennung ist ein kolossales Spektakel fürs schaulustige Volk, das in seiner Mitte noch eine riesige Puppe mit sich führt als eine Art Popanz der protes­tantischen Flamen, die gegen die spanische Unterdrückung kämpfen. Die Scheiterhaufen sind jedoch an den Bühnenrand gerückt, so dass nur die flackernde Glut zu sehen ist, wenn die Verurteilten ins Feuer geführt werden.
Die Kostüme verbinden den Stil des späten 19. Jahrhunderts, der Entstehungszeit des Werks, mit barocker Pracht. Mönchskutten, spitze Büßerhauben, faschistisch anmutende Uniformen – die große Erzählung von Gewalt und Unterdrückung, weltlicher und kirchlicher Macht und vom Konflikt zwischen Politik und privaten Gefühlen ist zeitlos. Selbst wenn es mal hell wird wie bei Gesang, Tanz und munteren Kinderspielen im Klostergarten (Choreografie: Bärbel Stenzenberger), folgt schnell die brutale Ernüchterung. Hinter allen Maskeraden lauert Unheil wie beim Manteltausch zwischen Elisabeth und der Prinzessin Eboli mit fatalen Folgen für den liebesverblendeten Carlos.
Das Inszenierungsteam hat sich für die fünfaktige italienische Fassung von Verdis über zwei Jahrzehnte immer wieder umgearbeiteter ­düsters­ter und längster Oper entschieden. Das überzeugt ebenso wie die diversen Kürzungen, mit denen das Stück dann doch unter der Länge mancher Opern von Verdis gleichaltrigem Rivalen Wagner bleibt. Der erste Akt, die Szene in Fontainebleau, die im als Vorlage dienenden Trauerspiel Don Karlos von Friedrich Schiller nicht vorkommt, ist wichtig zum Verständnis der psychischen Verfassung der Liebenden. Auch wenn Verdi und seine Librettisten sich ziemlich weit von Schillers Text entfernten, dessen markanteste Erfindung, der Marquis von Posa, bleibt auch hier die Figur, die die meisten Sympathien auf sich zieht.
Der Bariton Giorgos Kanaris, seit vielen Jahren Bonner Ensemblemitglied, singt und spielt die Partie einfach fabelhaft. Sein Rodrigo ist der politisch wache Kopf und Freiheitskämpfer, der mit seinen liberalen Ansichten sogar den unerbittlichen König Philipp fasziniert. Zu Recht sieht der Generalinquisitor in Rodrigo die eigentliche Gefahr für die allumfassende Macht der Kirche. Der treue Rodrigo ist immer zur Stelle, um seinem Freund Carlos beizustehen und opfert schließlich sein Leben für ihn und die große politische Aufgabe. In der Titelpartie gastiert der junge Tenor Leonardo Caimi, der gerade die internationalen Opernbühnen erobert und mit viel tenoralem Stimmschmelz den zwischen Liebe und Politik zerrissenen Carlos verkörpert.
Überhaupt ist diese Aufführung ein Fest der schönen Stimmen. Allen ­voran die beiden Frauen, die Carlos‘ Schicksal bestimmen. Die Sopranis­tin Anna Princeva glänzt als zarte Elisabeth, die mit eiserner Haltung ihr Schicksal erduldet und an ihren seelischen Qualen zerbricht. Großartig behauptet sich daneben Dshamilja ­Kaiser mit wunderbar leuchtendem Mezzosopran als Eboli, die aus verschmähter Liebe zu Carlos zur Verräterin wird, am Ende ihre Schönheit verflucht und als rettender Engel den Prinzen aus dem Kerker befreit. Der elegante Bass Tobias Schabel berührt als einsamer König zutiefst mit seiner nächtlichen Selbstreflexion „Sie hat mich nie geliebt“. Sein Philipp ist kein brutaler Machtmensch, sondern ein innerlich zerrissener, am Lauf der Geschichte zweifelnder Regent. Der Bass-Bariton Karl-Heinz Lehner überzeugt als herrischer Großinquisitor im Rollstuhl. Auch die kleineren Partien sind mit Lada Bocková (der Page Tebaldo), Katleho Mokhoabane (Graf von Lerma / ein Herold), Magnus Piontek (ein Mönch) und Sarah Vautour (Stimme aus der Höhe) hervorragend besetzt. Helena Baur spielt bezaubernd die stumme Rolle der Fürstin von Aremberg, Elisabeths engster Freundin.
Chor und Extrachor, perfekt einstudiert von Marco Medved, dürfen sich endlich wieder auf der Bühne sehen lassen und bewähren sich bei den eindrucksvollen Massenszenen sängerisch und spielerisch als exzellentes Ensemble. Unter der musikalischen Leitung des jungen Ersten Kapellmeisters Hermes Helfricht funktioniert die Abstimmung zwischen Bühne und Graben vortrefflich. Sehr fein arbeitet er musikalische Motivverknüpfungen heraus. Das Beethoven Orchester spielt temperamentvoll mit dramatischer Energie. Ein Sonderlob gebührt den Blechbläsern.
Musikalisch ist die in sich schlüssige Inszenierung mit ihren starken Bildern und der psychologisch transparenten Ausdeutung der Figuren ein Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Ein wenig irritierend sind nur die vielen, langen Umbaupausen. Ansonsten bleibt die Aufführung spannend bis zum magischen Schluss. Enthusiastischer Premierenbeifall! E.E.-K.
Spieldauer ca. 3 ¾ Stunden inkl. einer Pause
Die nächsten Termine: 26.12.21 // 1.01. // 9.01. // 22.01. // 29.01. // 10.02. // 18.02. // 18.03. // 16.04.22

Samstag, 01.01.2022

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