Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Johannes Mertes: Vom Opernchor zum Solisten

Johannes Mertes in Madama Butterfly (2016) als Fürst Yamadori
Foto: Thilo Beu
Johannes Mertes in Madama Butterfly (2016) als Fürst Yamadori
Foto: Thilo Beu

kultur 126 - Mai 2016

Die Zahl der Bonner Opernproduktionen, in denen er nicht mitwirkt, ist deutlich kleiner als die, an denen er beteiligt ist. In der vergangenen Spielzeit sang er sogar noch mehr Partien als in der laufenden, in der er größere Aufgaben übernommen hat. Dazu gehörte der Cantor in der konzertant präsentierten Tango-Operita María de Buenos Aires von Astor Piazzolla. „Als Operndirektor Andreas K.W. Meyer mich vor einem Jahr fragte, ob ich das singen möchte, habe ich mich sehr gefreut“, erzählt Johannes Mertes. „Piazzolla habe ich immer schon gern gemocht. Seine Musik gehört auch auf deutsche Konzertpodien, weil vieles in seiner Musik ohne die vielfältige europäische Tradition nicht zu denken ist. In das Spanische musste ich mich erst intensiv einarbeiten, zumal die Geschichte mit ihrer surrealen Metaphorik sich nicht leicht erschließt und die deutsche Übersetzung ein eher bescheidenes Hilfsmittel war. Ich habe dann unseren erfahrenen Duende Daniel Bonilla-Torres in Stuttgart besucht, um das Stück genauer zu begreifen. Denn man kann eine Figur nur gestalten, wenn man bei jedem Wort weiß (oder zumindest ahnt), weshalb man es singt.“ Die mitreißende Produktion ist mittlerweile abgespielt, wurde aber von Deutschland Radio Kultur aufgezeichnet und wird dort am 14. Mai gesendet.
Am Tag unseres Gesprächs steht abends noch die Orchesterhauptprobe zu Madama Butterfly an. Mertes singt den Fürs­ten Yamadori, der sich vergeblich um die verlassene Cio-Cio-San bemüht. Schon begonnen hat zudem die Arbeit an der Oper Holofernes von Emil Nikolaus von Reznicek, in der Mertes den Hauptmann Achior verkörpert. „Ich finde es toll, wie hier (neben dem zweifellos wichtigen Repertoire) seit Jahren Werke des frühen 20. Jahrhunderts wieder erscheinen oder auch fast vergessene Stü­cke prominenter Komponisten neu entdeckt werden. Natürlich ist Bonn keine Metropole. Es ist aber auch gar nicht so klein, wie es oft eingeschätzt wird. Das Bonner Opernhaus hat sein eigenes Publikum und auch sein ganz eigenes Profil, das sich in der deutschen Musiktheater-Szene durchaus sehen lassen kann.“ Mertes liebt das Gebäude und dessen 60er-Jahre-Charme mit seinem demokratisch geprägten Zuschauerraum, in dem er als Schüler seinen ersten Fidelio erlebte. Aber erst als Student besuchte er regelmäßig die Bonner Opern-Vorstellungen.
Seinen Weg zum Operngesang fand der 1969 geborene, in Wachtberg aufgewachsene Tenor relativ spät. Gern gesungen hat er zwar schon als Kind, wirkte als Jugendlicher im Schulchor mit, spielte Kontrabass im Schulorchester, im Jugendsinfonie-Orchester und nach dem Abitur am Bad Godesberger Aloisius-Kolleg beim Collegium Musicum der Uni Bonn. Als er sein BWL-Studium mit einem Diplom abschloss, war er jedoch schon fest beim Bonner Opernchor engagiert. Auf Anraten eines Freundes nahm er privaten Gesangsunterricht, bestand auf Anhieb die Aufnahmeprüfung an der Kölner Musikhochschule und absolvierte dort seine Ausbildung zum Bühnensänger. Als seine wichtigste Professorin nennt er die Sopranis­tin Monica Pick-Hieronimi. Angefangen hat er als Bariton, bevor er ins Tenorfach wechselte und ganz zufällig eine Stellenausschreibung beim Bonner Opernchor fand.
„Drei Wochen später hatte ich schon bei der damaligen Chordirektorin ­Sibylle Wagner vorgesungen und einen Vertrag in der Tasche. Natürlich war es ein Riesenglück, gleich bei einem renommierten Ensemble einzusteigen, bei dem man alles ausprobieren kann. Vom Barock bis zur Moderne reicht die stilistische und stimmliche Bandbreite. Hinzu kommen die schauspielerische Arbeit und die Ideen des Inszenierungsteams. Auch wenn man nicht von jedem Konzept überzeugt ist – es ist einfach toll, viele Regiehandschriften kennenzulernen und sie in die eigenen Bühnenaufgaben zu übersetzen.“
Nach mehr als einem Jahrzehnt im Chor und zahlreichen Solo-Auftritten wechselte Mertes zu Beginn der Spielzeit 2013/14 ins Engagement als Solist. „Am Theater sagt man, dass es keine kleinen Rollen gibt. Mit diesem Selbstbewusstsein und mit dieser Verantwortung sollte man seinen Beruf ausüben, auch wenn man sich im Chor den Applaus mit vierzig Kollegen teilt oder als erster zum ­Applaus herauskommt.“ Zum ersten Mal tat er das 2002 als Hauptmann der Bogenschützen in Simon Boccanegra und kurz danach als Perückenmacher in Ariadne auf Naxos. ­Später gehörte er zum Gefolge der Venus in Rameaus Dardanus, spielte den Rodrigo in Verdis Otello und den schönen Sigismund in der Operette Im Weißen Rössl, lieh in Wagners Tristan seine Stimme dem Hirten und dem jungen Seemann, sang bei der Wiederaufnahme von Satyagraha den Fürsten Arjuna und bei der Turandot-Gala 2015 den Kaiser Altoum. In der Familienoper Hänsel und Gretel begeisterte er als Heldentenor-Knusperhexe.
Seit fast zwanzig Jahren im Bonner Repertoire ist auch Mozarts Zauberflöte in der wunderbaren Inszenierung und Ausstattung von Jürgen Rose. Nachdem Mertes hier schon mehrfach den Monostatos gesungen hat, gibt er nun sein Debüt als Papageno. Traditionell eine Bariton-Partie und damit eine Rück­kehr zu den Anfängen des Sängers. Zumal die Rolle, die Mozarts Auftraggeber und Librettist Emanuel Schikaneder bei der Uraufführung 1791 selbst spielte, stimmlich gar nicht so festgelegt ist. Johannes Mertes sieht den Vogelfänger als ganz ernsthaften Menschen und nicht bloß als Clown. „Die Musik ist unglaublich schön und wirkt dabei ganz einfach. Klingt vielleicht pathetisch: Für mich ist die Zauberflöte ein absolutes Menschheitskunstwerk. Aber ganz unabhängig von der Größe einer Partie geht es immer darum, die Stimme transparent zu machen für die Gedanken und Gefühle der Figur. Und ein anderer Mensch, nämlich der Zuhörer, ist dann in der Lage, diese Gedanken und Gefühle unmittelbar zu begreifen. Das ist für mich das Wunder des Gesangs.“
Zeit für die Familie (Mertes ist verheiratet und hat zwei Kinder) bleibt zumeist nur nachmittags zwischen Proben und Vorstellungen. Wer sich für den Sängerberuf entschieden hat, weiß genau, dass er keinen Job mit üblichen Arbeitszeiten und freien Wochenenden hat. Mertes findet die vielseitigen Erfahrungen und Anregungen jedoch so spannend, dass er problemlos auf Freizeit verzichtet. Obwohl er gern auch in Konzerten mitwirkt und eine große Vorliebe für Oratorien hat. Immer noch begeistert ist er von der Händel-Trilogie in der Regie von Dietrich Hilsdorf. „Jeder Chorsänger wurde individuell inszeniert.“ Die vielen Facetten der Arbeit im Opernchor hat Mertes übrigens sehr anschaulich beschrieben in der Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum des Bonner Opernchors 2010. Für den Erhalt der Oper in seiner Heimatstadt hat er sich auch in politischen Diskussionen stark gemacht und ist froh, dass die Schließungsdebatten mittlerweile abgeebbt sind. „Die Opernlandschaft im deutschsprachigen Raum ist ein weltweit einmaliges Gut. Als Bonner können wir stolz sein, dass dieses auch in unserer Stadt gepflegt und damit als Ganzes bestehen bleibt.“

Donnerstag, 25.08.2016

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