Interview mit Volker Weininger - kultur 123 - Februar 2016

Sitzungspräsident mit Bildungsauftrag
- Volker Weininger ärgert sich über blinden Aktionismus im Schulwesen

von Thomas Kölsch


Für einen kurzen Moment muss Volker Weininger umdenken. Jetzt, mitten in der Karnevalszeit, über sein Kabarettprogramm zu sprechen, ist doch eher ungewöhnlich für den 44-jährigen Bonner. Denn eigentlich ist er in dieser Zeit eher als betrunkener Sitzungspräsident unterwegs und tingelt von einer Büttenrede zur nächsten – dazwischen ist eine sowohl amüsante als auch im Kern ernsthafte Diskussion über die Schwächen des deutschen Bildungswesens, die Weininger in Bildung. Macht. Schule. führt, kaum möglich. „In der Session mache ich ganz bewusst nie Kabarett, das wird einfach zu viel“, gesteht er. Und dass, obwohl der klassische Karneval noch gar nicht so lange in seinem Leben ist. „Ursprünglich ist meine Figur ja als Parodie im Rahmen der alternativen Stunksitzung 'Die Blaue Bütt' in Koblenz entstanden“, erklärt Weininger, „aber die kommt einfach bei allen Jecken super an.“

Die Kabarettkarriere hat sich parallel zu den närrischen Umtrieben des gebürtigen Windeckers nach und nach entwickelt. Langsam, wie Weininger sagt. Er sei immerhin ein Spätstarter. „Ganz am Anfang war ich mit meinem Bruder und einem guten Freund unterwegs, aber das war doch eher laienhaft. Erst 2009 habe ich mein erstes Solo gespielt, ein reines Figurenprogramm. Das war nicht schlecht, aber erst als ich mich davon gelöst habe und als Volker Weininger auf die Bühne trat, kam ich richtig in Fahrt.“ Offenbar: Drei zweite Plätze und drei Siege bei Kabarett-Wettbewerben, darunter das renommierte „Paulaner Solo+“ und „Das Schwarze Schaf“, sprechen für sich. Das neue Programm soll nun an diese Erfolge anknüpfen – und zugleich einige Missstände aufdecken, die Weininger im System Schule entdeckt hat. „Ich habe Deutsch und Englisch auf Lehramt studiert, und auch wenn ich selbst nach meinem Referendariat lieber in die Hochschulbildung gegangen bin, weil ich auf das ständige Disziplinieren und die Kungeleien im Lehrerzimmer einfach keine Lust hatte, kenne ich mich doch mit dem Unterrichten an sich aus. Außerdem habe ich noch aus dem Studium viele Freunde, die Lehrer geworden sind, und was die alles erzählen...“

So setzt Weininger also auf den Blick von Außen, um das Bildungssys­tem einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. „Meiner Meinung nach gibt es mehrere Probleme: Zum einen die Überbehütung der Eltern, die ja inzwischen sogar an den Universitäten mitreden wollen und gegebenenfalls mit dem Anwalt drohen, zum anderen die unnötigen Verkürzungen der Schulzeit und die damit einhergehende Mehrbelastung für Schüler und Lehrer glei­chermaßen. Vor allem aber fehlt mir das humboldtsche Bildungsideal.“ Also eine ganzheitliche Ausbildung in Künsten und Wissenschaften. „Heutzutage hat unser Bildungssystem doch kapitalistische Züge angenommen. Da wird dann die Frage gestellt, was einem zum Beispiel eine Gedichtsanalyse später noch nutzt, und somit alles auf die so genannte Employability heruntergebrochen. Dass es vielleicht um mehr geht, um die Fähigkeit zu analytischem, kritischem Denken etwa, wird dabei völlig außer Acht gelassen.“

Derartige Aussagen sind weder im Kabarett noch in der Bildungswissenschaft neu, gehört und vor allem realisiert hat sie aber bislang leider noch keiner, zumindest nicht unter den Entscheidungsträgern. Oder vielleicht doch? „Ich habe mitunter den Eindruck, dass die Fähigkeit zur Kritik heute ebenso wenig gewünscht ist wie Mündigkeit und Selbständigkeit“, sagt Weininger. Entscheidungen, Aussagen, Ideen zu hinterfragen und auch einmal abseits der Normen und Richtlinien zu denken, ist vielen eben zu schwierig. Zumal das Internet ohnehin auf alles eine Antwort kennt. Da braucht es doch keine Schule mehr. „Alles, was dort heutzutage noch zählt, sind Rankings. Zahlen statt Werte“, betont Weininger denn auch. „Dieser ständige Versuch, Bildung messen zu wollen, ärgert mich maßlos.“ Denn in dem darauf oft folgenden blinden Aktionismus würden zentrale Probleme einfach unter den Teppich gekehrt. „Ich finde zum Beispiel den Grundgedanken der Inklusion großartig, aber dann muss man doch auch entsprechend geschultes Personal haben und die notwendigen Freiräume schaffen, damit kein Kind zu kurz kommt.“ Ein hehres Ziel. Und, so scheint es zumindest, leider ein Kampf gegen Windmühlen. Doch einer muss ihn ja führen. Warum also nicht das Alter Ego eines betrunkenen Sitzungspräsidenten. Der brennt wenigstens dafür. Das sollte man nicht unterschätzen.

Donnerstag, 07.07.2016

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