Kylworks - Tanzgastspiel Jiri Kylián in der Oper - kultur 115 - April 2015

Grenzgänge zwischen Tanz und Film

Grenzgänge zwischen Tanz und Film
Altmeister Jiri Kylián, langjähriger künstlerischer Leiter des Nederlands Dans Theater, betrat selbst die Bühne im Bonner Opernhaus, um charmant seine medialen Grenzgänge zu erläutern. Denn zu sehen war danach kein live getanztes Stück, sondern der 2006 produzierte knapp halbstündige Schwarz-Weiß-Film Car-Men. Kyliáns Frau und Muse, die Tänzerin Sabine Kupferberg, verkörpert Carmen, die auf einem Autofriedhof irgendwo in der Wüste gelandet ist. Zusammen mit drei anderen Tänzer-Akteuren spielt sie, verführerisch und selbstbewusst, die bekannte alte Geschichte durch. Der Witz dabei: Der Streifen im Stil alter Stummfilme läuft nicht in Echtzeit, sondern mit erhöhter oder reduzierter Geschwindigkeit, was allen Bewegungen etwas Surreales gibt. Exakt synchron erklingt dazu Bizets Musik.
Don José und Escamillo basteln tollkühne Maschinen aus dem Metallschrott, Micaëla bleibt unrettbar gut, und Carmen braust den Car-Men schließlich davon in einer blinkenden Tatra-Limousine. Der tschechische Oldtimer habe ihn inspiriert zu dem skurrilen Film, gestand der 1947 in Prag geborene Choreograf.
2006 wurde nach 15 erfolgreichen Jahren das von ihm gegründete NDT III, die erste Company für ältere Tänzer, aus finanziellen Gründen aufgelöst. In dem vierteiligen Abend Kylworks versammelt er einstige künstlerische Weggefährten. Ganz in Gold präsentieren sich zwei Tänzerinnen anfangs in dem kurzen Stück ­Anonymous. Wie Göttinnen erstarrt in ihren bühnenfüllenden schimmernden Gewändern bewegen sie nur ihre Arme wie in einem geheimnisvollen Ritual. In den suggestiven Gesang der auf alte Musik spezialisierten katalanischen Sopranistin Montserrat Figueras (1942 – 2011) knallen jedoch immer wieder ohrenbetäubende Techno-Beats. Auf der Leinwand im Hintergrund erscheinen dazu grotesk verzerrt die Gesichter der Tänzerinnen und lösen sich in Farbwirbeln auf. Die Zeit der Diven ist abgelaufen.
Um Vergänglichkeit dreht sich auch das Duett 14‘20‘‘ zum auf Themen von Gustav Mahler basierenden Soundtrack von Dirk Haubrich. Ein Mann und eine Frau, beide in der Lebensmitte, umkreisen sich, suchen Halt aneinander, entziehen sich wieder der Nähe und sind am Ende weiter voneinander entfernt als je zuvor. Jeder auf seiner Seite unter dem Tanzteppich begraben. Szenen eines Liebesversuchs, hochkonzentriert und ausdrucksstark getanzt. Davon hätte man gern mehr gesehen bei den Kylworks mit erfahrenen Tänzerpersönlichkeiten.
Ein grandioser Spaß bleibt dennoch das abschließende Stück Birth-Day, das Kylián Kupferberg 2001 zum 50. Geburtstag widmete. Fünf Figuren in Rokoko-Kostümen zelebrieren zu Mozarts Musik ein Fest und veranstalten am Tisch ein köstliches Ballett mit Fächern und Gläsern. Gelegentlich verschwindet einer im Hintergrund und taucht dann unversehens auf der Filmleinwand wieder auf. Da laufen die Party-Vorbereitungen in schönster Slapstick-Manier auf Hochtouren. Allein die chaplineske Küchenshow zur „Figaro“-Ouvertüre ist schon ein komisches Meisterwerk, wird aber noch übertroffen von einer flotten Kissenschlacht im Bett, von der sich alle erschöpft wieder zurück auf die Bühne schleichen.
„Jedes Alter tanzt“, lautete das Motto der Vorstellung, die in allen Teilen um die Endlichkeit des Lebens kreist. Die unmittelbare Lebendigkeit der Tänzer auf der Bühne kam trotz aller virtuosen Spielereien mit visuellen und musikalischen Effekten jedoch ein wenig zu kurz.
E.E.-K.

Dienstag, 08.09.2015

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