Warteraum Zukunft - kultur 85 - April 2012

Warteraum Zukunft von Oliver Kluck in der Brotfabrik – Prekäre Welt zwischen Up-Grading und After-Job-Party

Sie sind überall, diese Typen mit exzellentem Hochschulabschluss, Auslandserfahrungen und 60-Stunden-Job in der Geringverdiener-Warteschleife auf der Suche nach dem großen beruflichen Kick: jung, dynamisch, hoch motiviert, kaputt. Das „Mission Statement“ der Firma schon auf der Autobahn zum Büro ebenso im Kopf wie das neueste Personalverschlankungs-Konzept zur Gewinnmaximierung des selbstverständlich unverschuldet wirtschaftlich kriselnden Unternehmens. Ein ganz normaler Tag also im Leben von Daniel Putkammer: knapp 30, promovierter Ingenieur, leistungsorientiert, karrieresprungbereit. Ein bizarrer Überlebenstanz von der morgendlichen Fahrt zur Arbeit bis zur nächtlichen Heimkehr.
In seinem 2010 am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführten und mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichneten Stück Warteraum Zukunft entwirft der 1980 geborene Autor Oliver Kluck ein bitterböses Panorama der Arbeitswelt seiner Generation.
In der Werkstatt der Brotfabrik hat Jan Stephan Schmieding den Angestellten-Alltag zwischen Routine und Ritualen als grotesken Albtraum inszeniert. Mit aberwitzigem Tempo und abgründigem Humor, der ständig solch scharfe Pointen produziert, dass das Gelächter im Publikum Boulevard-Stärke erreicht. Man erkennt sie wieder, die flachen Typen (Fernsehnachrichten-Schauer mit soliden Konten, Gebrauchsanweisungen-Leser, die im Flieger die Plätze am Notausgang buchen, personifizierte verkehrsberuhigte Zonen in ökologisch vollsanierten Wohnküchen mit schnellem Internet selbst auf dem Etagenklo), denen Daniel unverschämt ätzende Kommentare gönnt. Schmiedings Regie kehrt den inneren Monolog nach außen, spielt virtuos mit dem Ungesagten, illustriert amüsant unterschwellig die Vorgänge und lässt den ekligen Duft des beim akademischen Proletariat beliebten Zwiebelmetts robust von der Betriebskantine bis zur nächtlichen Party aufsteigen. Einige haben halt Schwein gehabt auf dem Weg vom sorglosen Studium zum bequemen Beamtenbüro-Chefsessel. Andere wollten höher raus, machten jahrelang unbezahlte Praktika ohne freie Wochen­enden und kriegen beim Sekt ordernden Firmenchef mittags die ultimative Superchance: Ein eigenes Büro mit Verantwortung für die Zweigstelle in Rumänien. Und auf einem alten Plattenspieler kreisen zwei einsame Bierflaschen als Erinnerung ans Alkoholverbot im Dienst…
An einer oben um die Bühne verlaufenden Schiene kreisen derweil Reinigungs-Plastiksäcke und allerhand Büroschrott bis hin zu den kopfüber aufgehängten Blumentöpfen, an denen Sekretärinnen ihre Restlebenslust erproben. Das Bühnenbild von Anne Brüssel ist ein echter Akteur im ernüchternden ­Hamsterrad-Rennen des kleinen Angestellten Daniel. Nico Link vom Schauspiel-Ensemble des Bonner Stadttheaters verkörpert diesen wütenden Auf- und Absteiger grandios. Hinter seinen schnodderigen Macho-Allüren scheint eine große Sehnsucht auf, hinter seiner Empörung über die systematische Demütigung eine melancholische Sensibilität, die zwischen geplatzten Würsten und mehr oder minder verlockenden weiblichen Reizen eine Spur von Idealismus andeutet. Sehr präzis und ungerührt gibt der freie Musiker und Schauspieler Ralph Püttmann alle anderen Rollen vom Radio-Sprecher bis zum mächtigen Unternehmer. Vom After-Job-Abend bei Frank, Siggi, Lilo, Kerstin, Sylvia etc. (mehr oder weniger beamtet mit tariflichem Recht auf Minderleistung) wird ein schaler Beigeschmack von ins Klo Erbrochenem und Fahrerflucht bleiben.
Im Zustand angenehmer Betrunkenheit werden unter Zuhilfenahme von Kaffee und Krawatte in Daniels geschäftiger Lebenskopie langbeinige schwarze Strumpfhosen wieder fast so identitätsstiftend sein wie ein lukrativer Auftrag aus China. Elektronische Ton-Loops und raffinierte spielerische Verfremdungen sorgen dafür, dass die höchst unterhaltsame Aufführung nicht in platten Realismus abdriftet.
Eine gelungene Aufführung, die als erstes Pilotprojekt der Zusammenarbeit zwischen NRW-Stadttheatern und soziokulturellen Zentren als Meilenstein fungieren könnte. Der lange, überzeugte Beifall bei der ausverkauften Premiere spricht dafür. Die Inszenierung hat das Zeug zum Bestseller. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 1½ Stunden, keine Pause.
Weitere Termine z.Zt. nicht bekannt.

Donnerstag, 11.10.2012

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