Written on Skin - kultur 100 - November 2013

Written on Skin in der Oper

Spektakuläre Engelsmusik

Die Opernsaison mit einem Werk des 21. Jahrhunderts zu starten, ist mutig. Zumal der 1960 geborene britische Komponist George Benjamin bis vor kurzem nicht gerade zu den Stars der internationalen Musiktheater-Szene gehörte. Das hat sich geändert, nachdem 2012 seine erste abendfüllende Oper Written on Skin beim Festival von Aix-en-Provence uraufgeführt und seitdem als neues Meis­terwerk weltweit umjubelt wurde.
Dass es der Oper Bonn in Kooperation mit dem Beethovenfest gelang, die erste Neuinszenierung hier zu präsentieren, ist ein echter Coup. Die bildmächtige Inszenierung des Regie- und Ausstattungsteams Alexandra Szemerédy und Magdalena Parditka ist ein weiterer Glücksfall. Die beiden jungen Ungarinnen wurden soeben für den renommierten „Faust“-Preis des Deutschen Bühnenvereins nominiert. Es passiert ziemlich viel auf der Bühne, wo vor einer rauen Felswand Mengen von Büchern gestapelt sind, während auf der anderen Seite eine Zimmerruine zwischen Hölle und Himmel schwebt. Eine goldene Leiter verbindet die Sphären. Wie einen Haushund hält der Protector seine Frau Agnès an einer goldenen Kette und schlachtet sorgfältig ein weißes Lamm. Der reiche Herr ist besessen von „Reinheit und Gewalt“. Ein kostbar illustriertes Buch soll sein glückliches Leben preisen. Dafür engagiert er einen jungen Künstler, der sich aus einer Schar von Engeln löst und herabsteigt ins irdische Paradies.
Bücher wurden auf Pergament geschrieben im Mittelalter und waren einmalig. Benjamins Oper, zu der der bekannte englische Dramatiker Martin Crimp das Libretto verfass­te, rekurriert auf einen Stoff aus dem 13. Jahrhundert, geht in seinen Symbolschichten aber weiter zurück bis in biblische Tiefen. Die Siegel des Buches bleiben verschlossen, je hautnaher der Maler/Schreiber die ebenso leseunkundige wie erlesene Frau erkennt.
Miriam Clark singt die Agnès mit einer betörenden Unschuld und unerhörtem Gefühl. Ihr Sopran überstrahlt alle Illuminationen des entstehenden Lebensbuches. Der Bariton Evez Abdulla (siehe auch Seite 14) ist der Protector, der seine Herrschaft gefährdet sieht durch eine Frau, die ihm nicht mehr bedingungslos als gehorsame Gebärmaschine dient. Der Bewegungschor produziert dazu Babypuppen am Fließband. Abdulla zeigt sehr genau die Verletzlichkeit des etablierten Machthabers, der seine nach Freiheit verlangende Gattin buchstäblich an die Wand nagelt, bevor er sie füttert mit dem Herzen des vermeintlichen Rivalen. Der ist freilich nicht von dieser Welt, sondern ein herabgestiegener Engel und folglich unsterblich. Geradezu überirdisch schön singt der Countertenor Terry Wey die Partie des Jungen, der das Wort „Liebe“ nur schreiben kann, aber dessen Sinn nicht begreifen.
Von fern her aus der Himmelswelt fliegen auch Agnès‘ Schwester Marie (Susanne Blattert) und deren Mann John (Tamás Tarjányi) in die Ehehölle, was durch ein Kofferrollband arg verdeutlicht wird. Ungerührt schauen die weißen Engel auf die Unterwelt, wo die Menschen sich bekämpfen. Angesichts der Flut von assoziativen Bildern hat es die Musik nicht leicht. Das relativ klein, aber mit ungewöhnlichen Instrumenten wie Glasharmonika, Kontrabass-Klarinette und Bass-Viola da gamba besetzte Beethovenorchester unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Hendrik Vestmann entfaltet jedoch eine Klangmagie, die mit ihrer Vielfarbigkeit fast schon süchtig macht. Es ist keine Imitation mittelalterlicher Töne, sondern evoziert die Leuchtkraft der Illuminationen handgeschriebener Bücher. Im digitalen Zeitalter eigentlich ein Anachronismus, aber mit den wundervollen Gesangsstimmen ein sinnliches Ereignis. Man muss dabei nicht jede Facette der komplexen Handlung verstehen, um zu begreifen, dass das Schöne nur des Schrecklichen Anfang ist.
Bei der Premiere genoss auch der Komponist persönlich den begeisterten Beifall für eine fabelhaft gelungene Aufführung. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1½ Stunden,
keine Pause
Die Oper steht noch am 26.10., 28.11. und 5.12. auf dem Spielplan.

Dienstag, 03.12.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 26.04.2024 14:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn