Drei Kurzstücke - kultur 96 - Mai 2013

Drei Kurzstücke von Philipp Löhle in der Werkstatt - Gesellschaftszustand: ratlos

Entschieden gegen das System sind die vier jungen Leute, die da die Bühne stürmen, auf der das Publikum im ersten Teil Big Mitmache herumsteht. Das Kurzstück wurde 2008 an der Berliner Schaubühne im Rahmen von Philipp Löhles Deutschlandsaga uraufgeführt und leitet nun die Trilogie des Autors ein, die er aus drei Einaktern neu zusammengestellt hat. Wie bei dem erfolgreichen Bonner Auftragswerk Der Wind macht das Fähnchen führt wieder Dominic Friedel Regie. „Das Sys­tem ist alles, was scheiße ist“, erklärt einer der mit 70er-Jahre-Outfits verkleideten blauäugigen Miniterroristen, denen Ausstatter Peter Schickart Kontaktlinsen im Zombie-Look verpasst hat. Irgendwie mit Gewalt gegen alles reicht noch nicht als Konzept, aber immerhin einen Namen hat Vordenker Felix anzubieten „F.O.T.Z.E“ (= Fortschritt, Ordnung, Tatkraft, Zusammenhalt…), der seine Botschaften gern aus einer atommüllgelben Tonne heraus verkündet. Und brav skandieren die Zuschauer „Fotzennazis, Fotzenamis, Fotzenjuden“, was immerhin beweist, wie simpel das Mitmachen funktioniert. Das mit den Schusswaffen klappt nicht so ganz, weshalb Felix (Philine Bührer), Nils (Nico Link), Rosa (Julia Goldberg) und Ina (Johanna Wieking) sich mangels selbst produzierter Leichen zu den Verkehrstoten bekennen.
Gewidmet ist die an die R.A.F. anspielende Farce allen, denen der 25. November 1973 einen Strich durch die Rechnung machte. Das war der erste autofreie Sonntag in Deutschland. Angesichts der Ökokrise gab’s nicht mal mehr Terror durch Unfälle. Die Revolutionäre sind ratlos. Aber das Publikum darf sich setzen, nachdem die frustrierten Kinder der Protestkultur die Plastikvorhänge weggerissen haben für Herr Weber und die Litotes.
Das ist das stärkste Stück der Trilogie. Rolf Mautz als senile Rentnerin, die nutzlos ihrem Lebensende entgegendämmert, liefert eine schauspielerische Glanzleistung zwischen Karikatur und echtem Elend. Auf der anderen Seite der Bühne erzählt Wolfgang Rüter als ihr Betreuer seinem Spiegelbild seinen verkrachten Lebenslauf. Immerhin hat er nach langer Arbeitslosigkeit nun einen gutbezahlten Job im Staatsdienst. Die unproduktiven Ausgaben für Renten und Arbeitslosengeld lassen sich nämlich gut miteinander verrechnen, wenn man beides abschafft. Also ab in die Kiste mit der Alten und statt Hartz IV die Killerprämie kassieren. Eine bitterböse Lösung für das Generationenproblem und mit sarkastischer Komik präsentiert, die unter die Haut geht.
Ziemlich am Ende ist der Präsident eines fiktiven europäischen Landes in dem düsteren Stück Afrokalypse. Allein mit seinem treuen Adjutanten Katten auf der Flucht vor den afrikanischen Migrantenhorden, die das dekadente Abendland mit Gewalt überrollen. Eingeklemmt zwischen Sperrholz-Wand und erster Zuschauerreihe zelebriert Tanja von Oertzen als Präsident im schwarzen Rokoko-Anzug starrsinnig den Glauben an die Überlegenheit der alten Werte und beharrt völlig realitätsfern auf Hierarchien und Privilegien. In grotesker Ergebenheit folgt der Adjutant (Tatjana Pasztor) allen präsidialen Befehlen bis zum bitteren Ende und übernimmt schließlich den verlorenen Posten seines Herrn.
Leer laufender Widerstand, Geschichte als Selbstzerstörung und Mord als Mittel zur Haushaltssanierung – so richtig zukunftsfroh verlässt man die Werkstatt nach diesem mäßig witzigen Abend nicht. Eher mit der Einsicht, dass die Lage so hoffnungslos ist, dass Ernst auch nicht mehr weiterhilft. E.E.-K.

Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause
Die letzten Termine:
22. / 31.05.13 / 13. / 19. / 25.06. / 2.07.13

Dienstag, 12.11.2013

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