Leonce und Lena (Kammerspiele, Theater Bonn) - kultur 101 - Dezember 2013

Leonce und Lena in den Kammerspielen: Müßiggang als Lebensperspektive

Wie eine Kirmes-Leuchtreklame blinkt ein riesiges umgekipptes „P“ auf der Bühne. Reichlich herunter gekommen ist das Kleinkönigreich Popo, dessen König Peter das Regieren satt hat und die Krone gern seinem Sohn Leonce überlassen möchte. Er hat mit den Staatsgeschäften freilich nichts im Sinn und überhaupt keine Lust auf eine Verehelichung mit der Prinzessin Lena vom Reiche Pipi. Das Regie- und Ausstattungs-Team Mirja Biel und Jörg Zboralski, die seit dieser Spielzeit zum festen Stamm des Bonner Schauspiels gehören, macht aus Büchners 1836 verfasstem Lustspiel Leonce und Lena ein groteske Farce: schrill, poppig und herrlich verrückt. Gelegentlich frech durchmixt mit Texten von Baudelaire bis Oscar Wilde. Und natürlich darf auch der „Hessische Landbote“ mit dem berühmten „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ nicht fehlen – schamlos politisch inkorrekt gebrochen durch ein „Wir sind alle Palästinenser“. Es wird munter gekalauert und geblödelt in der Inszenierung, die trotzdem sehr genau den bitterbösen Kern des Stückes trifft, in dem alles zu Bruch geht, was die Welt zusammenhält. Die Lage ist nicht ernst, nur völlig hoffnungslos.
Die Königskinder sind jung, bis zum Überdruss mit allem versorgt und langweilen sich tödlich. Sie werden einfach nicht gebraucht, leiden an ihrer Untätigkeit und berauschen sich an ihrem Weltschmerz. Es ist ein modernes Lebensgefühl, das Büchner in seiner zynischen Komödie beschrieb. Gerade mal 23 Jahre alt wurde der Dichter, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr auf vielen Bühnen gefeiert wird. Keins seiner drei Dramen wurde zu seinen Lebzeiten aufgeführt. Er kam zu früh mit seinem Widerstand gegen den politischen Unfug seiner Zeit und die romantischen Kopfgeburten, die erst mal auf die Füße gestellt werden müssen, damit man die Hirne (Büchner promovierte mit einer Untersuchung über das Nervensystem von Fischen) genauer betrachten kann.
„Der Mensch muss denken“, behauptet tapfer der leicht verwirrte König Peter, köstlich verwirrt gespielt von Glenn Goltz, während sein Verstand zwischen Burn-Out und Vergesslichkeit flackert. Benjamin Berger ist der melancholische Leonce, der vor lauter Selbstmitleid in einem putzigen Wohnwagen die Flucht ins romantische Sehnsuchtsland Italien ergreift. Das Innere dieses mobilen Prinzen-Verlieses wird per Video manchmal nach außen projiziert, es gibt Dosenbier und jede Menge Spaß. „Lass uns Drogen nehm‘ und rumfahrn“, empfiehlt der arbeitsscheue Diener Valerio, den Sören Wunderlich als eine Art Punk verkörpert. Eine durchgeknallte Göre ganz in Rot ist Johanna ­Falck­ner als Prinzessin Lena, die auf der Flucht aus Pipi schnurstracks dem lebensmüden Leonce in die Arme läuft. Julia Keiling mutiert von der abgelegten Geliebten Rosetta zu Lenas strenger Gouvernante, die notfalls sogar zur Knarre greift.
Mit der Klampfe begleitet der Hamburger Musiker Knarf Rellöm als Erzähler die irrwitzige Geschichte. In skurrilen Faltenröckchen und Jacketts mit „P“-Wappen (Kostüme: Petra Winterer) sausen die beiden blasierten Staatsminister Philippe und Pierre (Thomas Hatzmann und Samuel Braun) auf kleinen Fahrrädern durch die Szenerie. Ihre servile Umtriebigkeit ist so lächerlich wie die ganze Rebellion der Adelssprösslinge, die am Ende genau das tun, was sie nicht wollten: Heiraten. Mit einem vehementen Verfechter des Nichtstuns wie Valerio haben sie einen tüchtigen Berater an ihrer Seite. Müßiggang mag aller Laster Anfang sein, aber für die Arbeit zu leben lohnt sich keinesfalls. Also legen sie sich in die Sonne, genießen was kommt, verweigern sich jeder Verantwortung und verschwenden großzügig ihre Zeit. Möglicherweise ist das sogar ganz vernünftig. Ein hinterhältiges Vergnügen ist die aus Bremen nach Bonn verfrachtete Inszenierung auf jeden Fall und bes­tens auch für jüngeres Publikum geeignet. E.E.-K.


Spieldauer ca. 1¾ Stunden,
keine Pause

Dienstag, 14.01.2014

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