Graun, Carl Heinrich (1703/04 - 1759)

aus kultur Nr. 45 - 3/2008

Der im sächsischen Wahrenbrück geborene Carl Heinrich Graun war eines von drei musikalisch sehr begabten Kindern des Steuereinnehmers August Graun. Der erstgeborene August Friedrich wurde Kantor an der Merseburger Domschule; ist aber im Unterschied zu seinen Brüdern über seinen Wirkungskreis hinaus nicht bekannt geworden. Der zweite Sohn, Johann Gottlieb, wurde vor allem als Konzertmeister der preußischen Hofkapelle Friedrich II. seinerzeit hoch geschätzt. J.S. Bach ließ seinen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann 1726-27 bei dem als Violinvirtuose bekannten Musiker Unterricht nehmen. In seiner Funktion als Kapellmeister schrieb Johann Gottlieb zahlreiche Instrumentalkompositionen.
Der jüngste Sohn Carl Heinrich ist der bekannteste und als Komponist bedeutendste der drei Brüder geworden. Er hatte eine ungewöhnlich schöne Stimme, weshalb er in Dresden, wo er seit 1714 die Kreuzschule besuchte, eine der beiden Stellen des Rathsdis­kantisten belegte. Der Hochbegabte hatte Unterricht bei J.Z. Grundig und Chr. Petzold in Gesang sowie bei J.Chr. Schmidt in Komposition. Wichtige Anregungen erhielt er von dem Komponisten Reinhard Keiser (1674-1739) und vor allem durch zwei bedeutsame gesellschaftliche Ereignisse: Die Festaufführung von A. Lottis Oper "Teofane" 1719 am Dresdner Hof, die Graun als Chorsänger miterlebte, und die Aufführung von "Costanza e Fortezza" von J.J. Fux 1723 in Prag, wohin er zusammen mit den führenden sächsischen Hofmusikern J.D. Zelenka, S.L. Weiss und J.J. Quantz reiste.
In seiner Dresdner Zeit komponierte Graun wahrscheinlich mehr als zwei Jahrgänge Kirchenkantaten, die so gut wie alle verloren gegangen sind. Nach dem Ende seiner Ausbildung an der Kreuzschule war Graun für kurze Zeit in Diensten des Generalfeldmarschalls Christoph August Graf von Wackenbarth, der eine eigene Kapelle unterhielt. Im Jahre 1725 wechselte er als Tenor an den Hof Herzog August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel. Das Komponieren zählte hier zu seinen Dienstpflichten; man schätzte ihn als Vertreter des modernen, melodiebetonten Musikge­schmacks. Graun stieg bald zum Vizekapellmeister auf und setzte bis 1735 sechs Opern in Musik um. Neben den Bühnenwerken entstanden in Braunschweig auch Serenaden, italienische Kantaten, Kirchenkantaten und Passions- und Trauermusiken. Für den Komponisten selbst hatte zu dieser Zeit die Aufführung seiner Oper "Lo specchio della fedeltà" die größte Bedeutung, da sie für die Eheschließung des preußischen Kronprinzen Friedrich mit der Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern entstand und ihm die Aufmerksamkeit des preußischen Thronfolgers sicherte. Graun bemühte sich daraufhin um einen Wechsel in dessen Kapelle, den er selbstbewusst im Jahre 1735 vollzog. Hier war auch bereits sein Bruder Johann Gottlieb angestellt.
Für die kronprinzliche Kapelle entstanden weitere italienische Kantaten, die überwiegend von Graun selbst gesungen wurden. Sie begründeten seinen legendären Ruf als komponierenden Sänger, der beeindruckende Virtuosität und „rührende“ Ausdruckskraft verei­nigte.
Nachdem der Kronprinz als Friedrich II. 1740 König geworden war, ernannte er Carl Heinrich Graun zum Hofkapellmeister. Seit dem Winter 1743/44 verfügte die Berliner italienische Hofoper über ein erstklassiges Sängerensemble. Für das neue Opernhaus Unter den Linden komponierte Graun bis 1756 pro Jahr ein bis zwei Werke, die im Karneval oder am Geburtstag der verwitweten Königin Sofia Dorothea (27. März) aufgeführt wurden. Daneben schrieb er für den Hof weiterhin italienische Kantaten, möglicherweise auch Konzerte und Kammermusik. Die Prinzessin Amalia regte Graun zur Komposition der Passionskantate "Der Tod Jesu" an, die von der „Musikübenden Gesellschaft“, einer 1749 gegründeten Vereinigung von Hofmusikern und Musikliebhabern aus Adel und Bürgertum, im Jahre 1755 uraufgeführt wurde. Dieses Werk verbreitete sich, zusammen mit dem zwei Jahre später aufgeführten "Te Deum", weit über den norddeutsch-protestantischen Bereich hinaus und begründete eine bis zum Ende des 19. Jahrhunderts reichende Berliner Aufführungstradition.
Bereits 1746 wurde Graun als theoretisch und ästhetisch versierter Musiker in die Societät der musikalischen Wissenschaften aufgenommen. Grauns Opern- und Instrumentalwerke galten im gesamten nord- und mitteldeutschen Raum als Musterbeispiel des „guten“ Geschmacks. In J.G. Sulzers „Allgemeiner Theorie der Schönen Künste“ wurden die Rezitative Grauns - nicht nur seiner Opern - als exemplarisch angeführt. E.L. Gerber schrieb über Graun: „In Ansehung seiner Arbeiten setzt man ihn, wegen seinem klugen Gebrauche der kontrapunktischen Künste, wegen der Reinigkeit und Deutlichkeit seiner Harmonie, wegen seiner genauen Ordnung in der Modulation, und wegen seiner angenehmen Melodie zum Muster als einen klaßischen Komponisten.“
Gerühmt wurde der Komponist vor allem auch für die Ausdruckskraft seiner Werke; für den Sänger Graun stand die wirkungsvoll empfindsame Melodie im Vordergrund.
Grauns Interesse galt auch gesangspädagogischen Fragen: Er entwarf ein neues System von Silben für Solfeggios (s.u.), die sog. Damenisation. Zu seinen Gesangsschülern zählte der Kastrat Paolo Bedeschi gen. Paolino. Sein kompositionstechnisches Wissen gab Graun u.a. an Friedrich II., Chr. Nichelmann und J.Ph. Kirnberger weiter. E.H.

Zum Nachhören:
Cleopatra & Cesare, Jacobs, Williams, Vermillion, Con, Rene Jacobs, harmonia mundi.
Der Tod Jesu, Shirley-Quirk, Cuccaro, Markus, RIAS-Sinfonietta, RIAS-Kammerchor, Uwe Gronostay, Koch Schwann.
Christmas Oratorio, Schmithüsen, Mertens, Norin, Das Kleine Konzert, Hermann Max, WDR.

Mittwoch, 05.01.2011

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