Apeiron - Werkstatt - kultur 164 - März 2020

Apeiron
Foto: Thilo Beu
Apeiron
Foto: Thilo Beu

Uraufführung von Anja Hilling; Aufstieg und Untergang im Existenznebel

Ein Königsdrama in der medialen Gegenwart soll es sein. Menschen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, folglich nahe am Abgrund. Mitunter stirbt man in Badewannen, historische Beispiele reichen von Marat bis Barschel. Die drei Hauptfiguren probieren das Gefühl in der sargähnlichen Wanne ab und zu schon mal aus. Im Vordergrund rollt ein kleiner Wagen mit Scheinwerfer, Projektor und (fleißig benutzter) Nebelmaschine auf Schienen hin und her. Die Mechanik von Fremd- und Selbstwahrnehmung nimmt ungerührt ihren Lauf.
Apeiron heißt das neue Stück der vielfach ausgezeichneten Dramatikerin Anja Hilling (*1975). In der Werkstatt von Theater Bonn kam in der Spielzeit 2016/17 ihr Auftragswerk Massiver Kuss über Camille Claudel und Auguste Rodin erstmals auf die Bühne. Nun folgte die Uraufführung eines weiteren vom Bonner Schauspiel in Auftrag gegebenen Dramas. Es geht um Macht, Größe, Wahn, Geld, Aufstieg und Absturz – also eigentlich um alles. Der schwer zu fassende philosophische Begriff „Apeiron“ des Vorsokratikers Anaximander meint das Unbegrenzte, Unsichere, eine Art Urstoff des ewigen Werdens und Vergehens.
Die Inszenierung von Ludger Engels, erfahrener Musiktheater-Regisseur und jetzt erstmals in Bonn tätig, präpariert elegant die eigenwillige Poesie und die implizite Musikalität des Textes mit seinen Motivvariationen und rhythmischen Verschiebungen heraus. Der Cellist Tilman Kanitz (auch verantwortlich für das gesamte Sounddesign) setzt dabei eigene Akzente. Glatzköpfig mit langem Faltenrock (Kostüme: Sibylle Wallum) wirkt er wie ein androgyner schwarzer Engel, der sanft-energisch die biografischen Fragmente der drei Protagonisten kommentiert. Der Schauspieler Jan Viethen im weiß-wolligen Riesenpullover mimt den erfolg­reichen Schauspieler, zeitweise drogenabhängig, begnadeter Kino- und Bühnendarsteller, verflüchtigt zwischen seinen Rollen, früh am Ruhm zerbrochen. Lydia Stäubli im altrosa steifen Businesskostüm mit Blumenmanschetten an den Handgelenken gibt mit zerbrechlich-eiserner Haltung die prominente Unternehmerin, die eine peinliche Affäre mit folgender krimineller Erpressung mutig überstand. Klaus Zmorek spielt brillant den Politiker, der es bis in höchste Ämter schaffte und über Sexgeschichten stolperte. Ähnlichkeiten mit real exis­tierenden Personen sind offensichtlich, aber nicht entscheidend.
Im Bühnenbild von Volker Thiele mit beweglichen, transparenten Stellwänden wird der Blick auf die Akteure ständig irritiert. Projektionen, Überblendungen, Spiegelungen, Schatten: Alle Identitäten lösen sich auf, bevor sie greifbar werden. Ungerührt in asiatisch streng anmutenden Kostümen geistert ein dreiköpfiger Chor (Sulamith Hartmann, ­Leona Holzki, Elias Konradi – Schauspielabsolventen der Alanus-Hochschule) durch die paradox selbstbezügliche Welt der Geschöpfe imaginärer Sinnhaftigkeit. Möglicherweise sind alle schon gestorben: Blutrote Spuren an ihren Schläfen (ein Sonderlob verdient die Maskenabteilung) signalisieren die Rückkehr ins prävitale Dasein. Mitunter suchen sie nach kindlicher Körperwärme, kuscheln gemeinsam in der leeren Badewanne oder unter einer alten Bett-Steppdecke, die der Politiker sich wie einen lumpigen Königsmantel umwirft. Es sind stets Momentaufnahmen von einsamer Sehnsucht nach naiver Intimität, Gier nach Erfolg und öffentlicher Wahrnehmung und gleichzeitiger Angst vor der Demaskierung.
Es gibt keine narrativ präsentierte Handlung, sondern bloß einen postdramatischen Totentanz auf schlüpfrigen Textflächen, freilich mit exzellenten Darstellern.
Ein ambitioniertes Stück, von der Regie ästhetisch auf Hochglanz poliert, aber merkwürdig erkenntnisleer. Insofern treffsicher am Thema: Die Macht- und Medienmaschine läuft mitleidlos weiter, und der Beruf Menschsein bleibt höchst gefährlich ohne Trost in einer metaphysischen Streichelecke. Oberflächliche Fallhöhen, banale Daseinsunfälle, kluge Kanalisierung des amorphen Urschlamms in schillernde Trugbilder, aber beileibe kein weltbewegendes Theaterereignis. Aufgeweckter Beifall bei der ausverkauften Premiere. E.E.-K
ca. 100 Minuten, keine Pause

Donnerstag, 30.04.2020

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