Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe - Kleines Theater Bad Godesberg - kultur 163 - Februar 2020

Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe
Foto: Patric Prager – die Prager Botschaft
Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe
Foto: Patric Prager – die Prager Botschaft

Brillanter Monolog

Er war berühmt und ein Grobian, als er nach Weimar kam. Behauptet jedenfalls Frau von Stein. Sie habe ihn ‚erzogen‘ und so weit wie möglich hoffähig gemacht. Nun ist er verschwunden, hat sich 1786 mit Ende Dreißig einfach heimlich, ohne Erlaubnis und Abschied davongemacht. Es ist viel gerätselt worden über die Beziehung zwischen Johann Wolfgang von Goethe und der sieben Jahre älteren Hofdame Charlotte von Stein. Peter Hacks (1928 – 2003) lässt sie in seinem 1976 in Dresden uraufgeführten Monodrama Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe selbst zu Wort kommen. Hacks‘ literarisches ­Meisterwerk lief sowohl in der DDR als auch in der BRD mit großem Erfolg und ist bis heute ein Glanzstück für versierte Schauspielerinnen.
Im Kleinen Theater spielt Christina Rohde im schlichten cremeweißen Kleid die Frau von Stein: Selbstbeherrscht, sprachlich souverän, mit ein wenig ironischer Koketterie und anfangs leisen, später auch heftigeren emotionalen Ausbrüchen. Die Vermutung, es sei zwischen ihr und dem ungehobelten Genie irgendwas im Spiel gewesen, das den Namen Liebe verdiene, sei purer Unsinn, erklärt sie. Und weiß doch genau, dass sie lügt und keineswegs ein Herz aus Stein hat. Ihr geistreicher, fein ziselierter Text ist ein Geniestreich, voller amüsanter Anspielungen, oft im sprachlichen Duktus der historischen Weimarer Gesellschaft und ­gespickt mit Zitaten, aber gänzlich fiktiv. Es geht nicht darum, den Dichterfürsten (Bonmots wie „Er kann gar nichts, das allerdings hervorragend“ oder „Er liebte sich ohne besonderen Grund“ entzücken stets) durch Ausplaudern von Intimitäten zu verkleinern, sondern um Wahrnehmungsdifferenzen. Diese Charlotte ist klug, hoch gebildet, emotional feinsinnig und poetisch empfänglich. Aber ein Geschöpf ihrer Zeit, in der Ehen nicht aus romantischer Liebe geschlossen wurden. Die sieben Schwangerschaften, die ihr Mann ihr bescherte, bezeichnet sie als gewaltsame Anschläge auf ihr Leben. Ihren Gatten Josias redet sie weiterhin mit dem distanzierten „Sie“ an.
Der herzogliche Stallmeister Freiherr von Stein ist physisch an- und dialogisch abwesend. Als unerschütterliche Stoffpuppe im Ohrensessel neben einem künstlichen Kaminfeuer. Regisseurin Ina-Kathrin Korff (manche erinnern sich noch an ihre Arbeiten am Schauspiel Bonn) hält sich präzis an die Anweisungen des Autors: Sparsam möbliertes Bühnenbild (Ausstattung: Wesko Rohde) mit Chaiselongue, Damensekretär und ­Fenster ohne Ausblick. Frau von Stein wendet sich in ihrer großen Rechtfertigungsrede zumeist ans Publikum. Nein, sie ist nicht schuld an der plötzlichen Flucht des Dichters. Sie hat sein Liebesflehen nicht erhört, ihn vielleicht nur mal zärtlich geküsst. Sie blieb die Dame von Stand, die den widerspenstigen Szene-Popstar tapfer zivilisierte. Sie ist kein Opfer männlichen Größenwahns, sondern eine Frau mit scheinbar perfekter Menschenkenntnis und unüberwindlichen Illusionen.
Es bleibt freilich ein echtes Drama: Charlotte wartet fünf kurze Akte lang sehnsüchtig auf Post von dem fernen Geliebten. Nach einem Scheidungsangebot an ihren stummen Ehemann öffnet sie endlich das Paket aus Italien. Das Wetter dort sei schön, berichtet der Mann ihrer Träume und sendet ihr ein Herkules-Gipsfigürchen. Der spannende Perspektivwechsel (musikalisch untermalt mit Beethovens Variationen über ­Mozarts Bei Männern, welche Liebe fühlen) ist genauso tragikomisch wie die ganze brillante Inszenierung, die hier in Kooperation mit dem Jungen Theater Göttingen (einige Jahre zuvor schon in Celle erfolgreich) mit der exzellenten Schauspielerin Christina Rohde zum Bühnenereignis wird. Langer, überzeugter Premierenbeifall. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1¾ Stunden, inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
Bis 29.01. täglich

Freitag, 24.04.2020

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