Pixel - Gastspiel Compagnie Käfig im Opernhaus - kultur 161- Dezember 2019

Atemberaubendes Spiel mit Räumen und Bewegungen

Lichtpunkte werden zu Fackeln, wirbelnden Schneeflocken, riesigen Wellen, bewegter Rastergrafik auf dem Bühnenboden – nie weiß man genau, ob die Videos die Bewegungen der elf Tänzerinnen und Tänzer bestimmen oder ob die digitalen Projektionen ihren Aktionen folgen. Wände drehen sich, scheinen zu kippen und schaffen immer neue Perspektiven. Der Choreograf Mourad Merzouki, als Sohn einer algerischen Familie in der Banlieue von Lyon aufgewachsen, begann als Zirkusartist und Streetdancer. Seit den frühen 1990er Jahren ist er eine Leitfigur der französischen Hip-Hop-Szene und seit 2009 Leiter des Centre Chorégraphique National de Créteil. Mit seiner 1996 gegründeten Compagnie Käfig (der Name signalisiert tatsächlich die Befreiung aus einem geschlossenen Gehege) brachte er den urbanen Tanz von der Straße auf die großen Bühnen.
Sein 2014 uraufgeführtes Stück Pixel ist inspiriert von der medialen Überflutung unseres Alltags. In den Metropolen sind wir dauernd umgeben von künstlichen Bildern und Tönen. In der ständigen Vernetzung verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion. Pixel ist ein ästhetisch faszinierender Versuch, moderne Technik mit konkreter Körperlichkeit zu verbinden. Da gibt es atemberaubende (männliche) ­Breakdance-Kunststücke, einen Rollschuhläufer, bäuchlings auf Skateboards über die Bühne sausende Tänzer, eine zierliche Kontorsionsakrobatin, rasende Läufe und Sprünge und zirkusreife Artistik. Dazwischen jedoch auch sehr poetische Momente, ein Innehalten im Taumel der irrsinnigen Wahrnehmungs-Beschleunigung unserer technisierten Gegenwart. Die sensible Musik von Armand Amar trägt mit raffinierten Rhythmusverschiebungen, verfremdeten Streicherklängen und Stimmen die Spannung zwischen Realität und virtueller Bilderwelt.
Ein visuelles Wunderwerk ist die interaktive, elektronische Grafikanimation von Adrien Mondot und Claire Bardainne. Zirkulierende Arme öffnen Kreise aus Licht, Punkte verwandeln sich in Linien, scheinbar starre Gitter werden flexibel und abstrakte Konstruktionen zu dreidimensionalen Räumen. Die Gesetze der Geometrie scheinen nicht mehr zu gelten, die der Schwerkraft angesichts der überwältigenden tänzerischen Virtuosität des vielfarbigen internationalen Ensembles sowieso nicht. Für den rauschenden Beifall bei ihrem ausverkauften Gastspiel in der Bonner Oper (im Publikum saßen sehr viele jugendliche Tanztheaterfans) bedankte sich die Compagnie nach gut 70 atemberaubenden Minuten mit ein paar Solozugaben, als seien ihre körperlichen Energiereserven schier unerschöpflich.
Nach der Compagnie Système Castafiore mit ihrer magischen, multimedialen Kreation Théorie des prodiges im September (s. kultur 160) hat Tanzgastspiel-Kurator Burkhard Nemitz dem Bonner Publikum gleich wieder eine aufregende Entdeckung aus Frankreich präsentiert. E.E.-K.

Mittwoch, 08.01.2020

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