Christian Czeremnych - kultur 160 - November 2019

Christian Czeremnych
Foto: Thilo Beu
Christian Czeremnych
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Christian Czeremnych: Linie 16, Philinthe und Just

Morgens hat er geprobt für Die Installation der Angst des portugiesischen Autors Rui Zink, abends steht die Wiederaufnahme der musikalischen Revue Linie 16 an. Christian Czeremnych surft da mit Windmaschinenantrieb durch den Stadtbahnwagen. „Das sieht anscheinend ziemlich spektakulär aus, ist aber gar nicht so halsbrecherisch“, gesteht der junge, großgewachsene Schauspieler mit den langen blonden Haaren. Seit der Spielzeit 2018/19 gehört er zum festen Ensemble des Bonner Schauspiels.
Geboren wurde Christian Czeremnych 1990 in Bergisch Gladbach. Zum Theater zog es ihn gar nicht über das „Machen“, also die üblichen Schultheater-Erfahrungen, sondern relativ spät nur durch das Zuschauen. „Im letzten Jahr vor dem ­Abitur besuchten wir mit der Schule in Köln eine Aufführung von Tschechows Kirschgarten, inszeniert von Karin Henkel. Ich merkte, dass ich den Menschen auf der Bühne unheimlich gern zuschaute und war fasziniert von ihrer Gestaltungsfreiheit. Das war für mich so anziehend, dass ich immer öfter allein ins Theater ging, um mehr zu sehen.“ So reifte langsam der Entschluss, selbst Schauspieler zu werden und den anstrengenden Vorsprech-Marathon an verschiedenen Schauspielschulen zu wagen. Zum ersten Mal auf einer professionellen Bühne stand er 2011 im Freien Werkstatt Theater Köln in dem Stück Last Night on Earth nach Ray Bradbury, einer Produktion der Theatergruppe der Jungen Theatergemeinde Köln. „Kurz vor der letzten Vorstellung bekam ich die Nachricht, dass ich einen Studienplatz an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart erhalten hätte.“
Dort absolvierte er von 2011 bis 2015 seine Schauspielausbildung. Dazu gehört wie bei vielen anderen Hochschulen der baldige Einstieg in die Praxis. Ab 2014 trat er in Aufführungen des Staatstheaters Stuttgart auf und wurde dort bereits in seinem vierten Studienjahr fest engagiert. Unter der Schauspielintendanz von Armin Petras lernte er viele verschiedene Regiehandschriften kennen. „Wieviel man gelernt hat, merkt man sowieso erst später. Bisher habe ich aus jeder Arbeit etwas Wichtiges mitgenommen. Obwohl ich psychologisch vielschichtige Figuren mag, lasse ich mich gern auf alles ein, wenn ich merke, dass der inhaltliche Überbau stimmt.“ Besonders prägend wurde für ihn der Regisseur Sebastian Baumgarten, in dessen Inszenierung Tote Seelen nach Nikolai Gogol er 2016 mitwirkte. 2018 spielte Czeremnych als letzte Rolle in Stuttgart den Narraboth in Salomé von Oscar Wilde und Einar Schleef. „Baumgarten inszeniert sehr musikalisch und achtet genau auf den Rhythmus von Texten.“
Als ganz großen Theaterkünstler schätzt er freilich René Pollesch. Begeistert hat ihn schon 2010 dessen Der perfekte Tag im Mülheimer Ringlokschuppen. In Stuttgart wirkte Czeremnych 2017 gern mit in Polleschs verrücktem Spektakel Was hält uns zusammen wie der Ball die Spieler einer Fußballmannschaft? Zur Uraufführung gehörte auch ein Chor junger Frauen. „Das waren allerdings ausgebildete Sprecherinnen. Ganz anders als zuletzt in Bonn die Schülerinnen und Schüler in Horváths Jugend ohne Gott, wo wir von Anfang an in Workshops zusammengearbeitet haben.“ Den Regisseur ­Dominic Friedel kannte er bereits von der Uraufführung von Philipp ­Löhles Feuerschlange 2016 in Stuttgart. In dem Stück geht es um deutsche Waffenexporte und um Kinder in der brutalen Maschinerie von Industrie und Krieg. „Beteiligt war eine große Gruppe von Kinderdarstellern; in Bonn waren es dagegen Jugendliche, die tatsächlich etwas begreifen wollten vom Theater und der Gegenwärtigkeit, die im Gegensatz zu uns Schauspielern Theater ganz neu erleben und entdecken wollten. Spannend war die umgekehrte Rollenverteilung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, und toll war die offene Arbeitsweise mit Laien, die hier überhaupt nicht als solche wahrgenommen wurden. Es ist großartig, wenn man gemeinsam auf Augenhöhe ganz neue Erfahrungen macht.“
Dem Kirschgarten, der für ihn die Initialzündung war, begegnete er in Stuttgart wieder. In der Regie von Robert Borgmann spielte er den jungen Lakaien Jascha. „Der hat für mich durchaus Ähnlichkeit mit Tellheims Diener Just in Minna von Barnhelm, der verzweifelt versucht, seinen Herrn aus seinem Wahn wieder zur Raison zu bringen. Ich mag diese Reibung an anderen Figuren, das Aufdecken und Überspielen von Abgründen und auch das ‚Straßenköterhafte‘ – vom treuen Pudel erzählt er bei Lessing ja sogar ausdrücklich.“ Seine liebe Not hatte er schon als tapferer Philinthe mit der idealistischen Radikalität seines Freundes Alceste in Molières/Enzensbergers Menschenfeind. Letzteren hatte er bereits 2017 in einer auf vier Personen reduzierten heiteren Sommerproduktion in Stuttgart verkörpert.
Nach dem vorzeitigen Ende von Petras‘ Intendanz bewarb sich Czeremnych in Bonn. Den Schauspieldirektor Jens Groß lernte er erst nach der Zusage kennen. Seinen Einstand gab er als schnöseliger Aigisth in Marco Štormans nicht sehr überzeugender Orestie-Inszenierung. Wirklich entfalten konnte er sich erst als menschenfreundlicher, rhetorisch raffinierter Philinthe in Jan Neumanns erfolgreicher Menschenfeind-Interpretation. Und in dieser Spielzeit macht er den Just zu einer wirklich berührenden Gestalt in Minnas munterem Kinderspiel.
Zu den Arbeiten, die ihm bisher am meisten gefielen, gehört neben Jugend ohne Gott in Bonn Unterm Rad nach Hermann Hesse in der Regie von Frank Abt in Stuttgart. „Das haben wir über zwei Spielzeiten rund 50 Mal gespielt. Es geht auch hier um ideologisch brutal instrumentalisierte, seelisch verstörte Jugendliche. Der sensible, hochbegabte Hans, das Alter Ego des Autors, geht daran zugrunde. Bei Horváth ist das zentrale Thema die Verantwortung, der man sich stellen muss. Viele heutige Jugendliche haben das glücklicherweise begriffen und werden für ihre Zukunft aktiv.“ Bei der Installation der Angst (Premiere des Dreipersonen-Stücks in der Regie von Clara Weyde ist am 31.Oktober) geht es derzeit noch um das Ausprobieren verschiedener Richtungen. „Auf herkömmliche Angstbilder verzichtet die Erzählung. Die absurde Komik soll durchscheinen, aber vor allem interessieren uns die Machtmechanismen und die Möglichkeiten, sich dagegen zu verbünden.“
In Bonn fühlt Czeremnych sich sehr wohl. „Es ist schon eine Umstellung, wenn man von einem riesigen Dreispartenbetrieb mit über 1.200 Mitarbeiter*innen an ein wesentlich kleineres Theater kommt, das mit etwas mehr als einem Drittel des Personals auskommt. Man hat natürlich nicht dieselben Möglichkeiten, aber auch ganz andere Chancen. Nicht alles, was teuer ist, ist deswegen schon gut. Erfolge sind wichtig, genauso wie der Raum für künstlerische Experimente.“

Dennoch: Er mag die rheinisch direkte Art, wo man an geschlossenen Bahnschranken mal einfach so mit Leuten ins Gespräch kommt. „In Stuttgart sind die Menschen eher diskret.“ Außerdem lebt er nach acht Jahren in der Baden-Württembergischen Hauptstadt jetzt wieder näher bei seiner Familie und kann öfter mal nach Köln fahren, wo seine Theaterleidenschaft begann.

Mittwoch, 01.01.2020

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