Frau Müller muss weg - Schauspielhaus - kultur 156 - Mai 2019

Frau Müller muss weg
Foto: Thilo Beu
Frau Müller muss weg
Foto: Thilo Beu

Eltern im Krisenmodus

Lutz Hübner und seine Co-Autorin Sarah Nemitz sind aus guten Gründen die meistgespielten Gegenwartsdramatiker. Sie schreiben einfach hervorragende Komödien aus dem Alltag der bürgerlichen Mittelschicht. Und ihre Bühnenfiguren sind echtes Schauspielerfutter. Kein Wunder also, dass ihr 2010 in Dresden uraufgeführtes Stück Frau Müller muss weg an zahlreichen Theatern gespielt und auch mit prominenter Besetzung verfilmt wurde.
Im Schauspielhaus hat es nun Schauspieldirektor Jens Groß selbst inszeniert. Es ist seine zweite Bonner Regiearbeit nach dem Riesenerfolg mit Yasmina Rezas Kunst und wieder eine Vorstellung mit hohem Unterhaltungswert und einem exzellenten Ensemble. Dabei geht es der Elterndelegation der Klasse 4b gar nicht gut. Die Leistungen (vor allem die Noten) sind abgesackt. Bei mehreren ist die Gymnasial-Empfehlung gefährdet, was Vollstress für Eltern bedeutet, die für ihre hoffnungsvollen Sprösslinge gleich nach der Geburt schon den Studienplatz an einer Elite-Universität fest eingeplant haben.
In der perfekt aufgeräumten Grundschul-Turnhalle (Bühne und Kostüme: Maria Strauch) mit Barren, Pferd, Sprossenwand und Medizinbällen herrscht also dicke Luft. Die anwesenden Eltern hocken auf einer niedrigen langen Bank und sind sich einig: An der drohenden ­Katastrophe kann nur die pädagogisch total überforderte Klassenlehrerin Sabine Müller schuld sein. Frau Müller muss also weg. Wortführerin Jessica Höfel leitet das Treffen wie ein Management-Meeting. Birte Schrein ist unübertrefflich in der Rolle der eloquenten Powerfrau, die gern vom tapfer erklommenen Turnpferd aus das Kommando führt. Mitunter aus der Rolle fällt der arbeitslose Wolf Heider, der sich das Coaching seines Töchterchens zur Lebensaufgabe gemacht hat. Holger Kraft spielt mal den Loser aus dem Osten, mal den enttäuschten Lover. Dass Wolf ausgerechnet mal was mit Katja Grabowski hatte, gehört zum boulevardesken Konstrukt, in dem Eifersucht, Neid und rücksichtsloser Egoismus bald die Szene beherrschen.
Lena Geyer verkörpert die alleinerziehende Mutter des Klassenprimus, die als unterbezahlte Museumspädagogin ohnehin schon genug zu kämpfen hat, aber immer wieder beschwichtigend eingreift. Wilhelm ­Eilers gibt den eleganten Patriarchen Patrick Jeskow, glücklicher Erzeuger eines späten Wunschkindes. Als Patricks junge Gattin Marina überzeugt Lydia Stäubli zwischen Hysterie und rücksichtsloser Überheblichkeit. Ihr wunderbarer Sohn ist selbstverständlich hochbegabt, im Unterricht unterfordert, und außerdem ist der Umzug von Köln ins provinzielle Bonn schwer zu verkraften. Ein Fall von misslungener Integration ­(garan­tierte Lacher im Publikum)!
Auf jeden Fall bleibt für die übergriffigen Helikopter-Eltern absolut unvorstellbar, dass eines dieser verzogenen, brutalen Bälger demnächst mit Haufen von Migrantenkindern auf einer Hauptschule landet. Integration muss sein, aber nicht gerade mit meinem fabelhaften Kind, das auf eine glänzende Zukunft programmiert ist. Bildung und Erziehung – völlig egal: Es geht um Zertifikate.
Freundlich und besonnen agiert dagegen Frau Müller. Ursula Grossenbacher im sportlichen Outfit spielt die erfahrene Pädagogin, die ihren Beruf mit Leidenschaft und weit über ihre Pflichten reichendem Einsatz erfüllt. Im Gegensatz zu den förderwütigen Eltern kennt sie die Kinder wirklich. Grossenbacher ist die Sympathieträgerin der Vorstellung. Nur ganz leise macht sie deutlich, wie Frau Müller hinter ihrer souveränen Haltung die Fassaden durchschaut und das Gift der Angriffe schmerzhaft spürt. Ihre Position wäre fast schon zu heldenhaft, wenn sie nicht hinter der Bühne zeigen könnte, wie sehr sie diese Versammlung verletzt. In einer Videoeinspielung (Lars Figge) hockt sie in der Wohnung des Hausmeisters Nieberg. Wolfgang Rüter ist dieser alte Grantler, genauso einsam wie die alte Lehrerin, der er ganz zart und unbeholfen den Kampfmut wieder aufbaut.
Währenddessen haben die vor nichts zurückschreckenden Eltern Frau Müllers Sporttasche durchsucht und Zensurenlisten gefunden, die all ihre Sorgen zerstreuen. Frau Müller soll also unbedingt bleiben. In einer guten Komödie kann das natürlich nicht die letzte Pointe sein. Sehenswert ist aber allein schon, wie kunstvoll witzig das Ensemble die Sportgeräte benutzt. Die Elternfiguren sind zwar Karikaturen, aber die funktionieren nur mit hohem Wiedererkennungswert. Man kennt also jeden dieser Typen, die einen eher das Fürchten lehren als die Freude am Lernen.
Unbedingt sehenswert und bei der Premiere mit erfolgversprechendem Beifall belohnt. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
3.05. // 11.05. // 19.05. // 26.05. // 5.06. // 8.06. // 28.06.19

Montag, 26.08.2019

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