Rapunzelgrab - Kleines Theater - kultur 155 - April 2019

Rapunzelgrab
Foto: Kleines Theater Bonn
Rapunzelgrab
Foto: Kleines Theater Bonn

Satirischer Literatur-Krimi

Originelle Morde sind ihr Geschäft. Auf Erfolge auf dem Buchmarkt hoffen sie, manchmal sogar auf künstlerische Anerkennung. Einen Knacks hat freilich jeder in diesem Zirkel von Krimiautoren, der sich zwischen Rheinbach und Königswinter seiner epischen Leidenschaft hingibt. Sichtlich stolz ist Literaturvereinsvorsitzende Ruth Grosche, dass sie den Bestsellerautor Niklas Schreck für eine exklusive Lesung im mit Bedacht gewählten Rheinbacher Hexenturm gewinnen konnte. Rapunzelgrab heißt Schrecks neuer Roman, und anders als im bekannten Märchen („Rapunzel, Rapunzel, lass mir dein Haar herunter“) geht die Geschichte gar nicht gut aus. Jedenfalls liegt die junge Liane Riefers am nächsten Morgen tot am Fuß des Turms. Sorgfältig drapiert mit langen blonden Zöpfen. Eine Perücke, denn die Leiche ist vollkommen unbehaart.
Ein Fall für Kommissar Jan Seidel, den die in Bonn aufgewachsene und an der hiesigen Universität „Creative Writing“ lehrende Autorin Judith Merchant schon in ihren Romanen Nibelungenmord und Loreley singt nicht mehr mit der Ermittlung bei sagenhaften Verbrechen betraut hat. Ihren dritten Rheinland-Krimi Rapunzelgrab hat die Meckenheimer Buchhändlerin Nicole Jünger für die Bühne bearbeitet. Uraufgeführt wurde das Stück im Februar am Schlosstheater Neuwied in der flotten Regie von Andreas Lachnit, der die satirischen Blicke auf den Literaturbetrieb und die provinzielle Kulturszene witzig zuspitzt. Im Kleinen Theater Bad Godesberg funktioniert die mörderische Märchenkomödie perfekt. Geradezu genial ist das Bühnenbild von Christian Baumgärtel, bei dem die vielen Schauplatz-Wechsel und fast filmischen Schnitte mit rasantem Tempo laufen wie das Umblättern von Buchseiten, auf denen man mal länger oder kürzer verweilt.
Viel psychologischen Tiefgang haben die Figuren nicht in dem spannend konstruierten Plot mit seinen überraschenden Wendungen. Nikolas Knauf kann als (meistens) nüchterner Polizei-Kommissar Seidel aber entschieden mithalten bei all den regionalen Sokos, die die TV-Republik unterhalten. Seine tüchtige Kollegin Elena Vogt (Vanessa Frankenbach) ist eine gescheite Partnerin bei der Spurensuche im Dickicht zwischen Tomburg-Wiese und Rolandseck. Gerhard Fehn gibt den schrecklich eitlen, deutlich in die Jahre gekommenen Schriftsteller Schreck, der mit Prostata, Schreibhemmungen und Siebengebirgswein zu kämpfen hat, während er in einem „spießigen Café“ (mit spektakulärem Drachenfelsblick) seine große Preisverleihung im Hamburg verpasst.
Kerstin Baldauf spielt herrlich energisch die überdrehte Versicherungsangestellte Grosche im Business-Outfit (Kostüme: Hanne Eckart), innige Freundin der gewaltsam Verstorbenen. Katharina Felschen glänzt als verführerisches junges Talent Nessi Zobel mit Hang zu schottischem Whisky und Graffiti-Tapeten. Ein echter Hingucker ist der hühnenhafte Alexander Hanfland als Lianes robuster Exfreund Benedikt Völler, der mit Klingonen-Schwert und Mac jede Woche einen gut verkäuflichen Science-Fiction-Text absondert. Ein Schreibtischprolet, der von der hohen Kunst träumt, die einige in eine Klinik in Ahrweiler getrieben hat. Eine wirkliche Hilfe bei der Aufklärung ist freilich Seidels grundsympathische Oma Edith Herzberger, liebenswürdig verkörpert von Ursula Michelis. Die hat nämlich (ganz ohne Google und Wikipedia) herausgefunden, dass Trichophagie eine sehr seltene Krankheit ist und auf Deutsch „Rapunzelsyndrom“ heißt. Was das bedeutet, werden wir hier ebenso wenig verraten wie die amüsante Bestätigung/Negation von feingliedrig gesponnenen Germanisten-Klischees.
Langer heiterer Beifall für ein dramatisches Krimi-Vergnügen mit herrlich schrägen Typen und lokalem Wiedererkennungs-Wert. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden, inkl. einer Pause
Die letzten Vorstellungen: 26.-27.03. // 30.03.-4.04.19

Sonntag, 25.08.2019

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