Warten auf Godot - Werkstatt - kultur 154 - März 2019

Warten auf Godot
Foto: Thilo Beu
Warten auf Godot
Foto: Thilo Beu

Zeitlose metaphysische Clownerie

Nichts geschieht. Aber viel passiert, während Wladimir und Estragon warten. Das tun sie nun schon seit dem 5. Januar 1953, dem Datum der Uraufführung des berühmtesten absurden Theaterstücks am Pariser Théâtre de Babylone. Der irische Dichter Samuel Beckett schrieb Warten auf Godot auf Französisch und schaffte damit den internationalen Durchbuch als Bühnenautor. Das Werk entwickelte sich schnell zum ­Theaterrenner, der Titel wurde zum geflügelten Wort. Das Antidrama ist eines der meistgespielten Stücke des 20. Jahrhunderts, wurde unendlich oft interpretiert und verlockte immer wieder zu historischen (Beckett war Mitglied der antifaschistischen Résistance), politischen (Stagnation nach dem Zweiten Weltkrieg), sozialkritischen (die Abhängigkeit von Herr und Knecht), theologischen (Godot gleich erlösender Gott), psychologischen (das Leben besteht aus Illusionen und Enttäuschungen) und philosophischen (die menschliche Existenz als ein kurzer Moment zwischen Geburt und Tod ohne jeden Sinn) Deutungen. Beckett selbst hat sich allen Spekulationen verweigert.
In der Inszenierung der jungen Regisseurin Luise Voigt (auch für das Bühnenbild verantwortlich) ist alles eine amüsante metaphysische Clownerie und ein durchaus ernsthaftes Spiel. Vor allem mit der Sprache, denn sie lässt den Autor selbst zu Wort kommen durch Einblendungen seiner Szenenanweisungen. Die sind hier tatsächlich ein wichtiger Bestandteil des Textes. Dass vieles comicartig mit Geräuschen unterlegt wird (Blick in den Hut: Bums, Durchsuchen der Hosentaschen: Raschel, Zeigefinger: Ping, hinkendes Gehen: Schlurf) ist auf Dauer jedoch etwas ermüdend. Die Klangspur (Musik und Sounddesign: Friederike Bernhardt, Live-Sound: Frederik Werth) mit Anspielungen auf alte Choräle und Kinoträume bleibt indes reizvoll wie die leichte Verfremdung der Schauspieler-Stimmen durch Mikroports.
Der unvermeidliche Baum an der Landstraße im Nirgendwo ist ohnehin nur noch eine Schattenprojektion (Raum und Video: Stefan Bischoff) hinter dem von unten flackernd beleuchteten Bretterboden, der die Welt bedeuten soll. Dahinter ein schwarzer Vorhang, hinter dem Wladimir und Estragon sich gelegentlich verstecken und bei der ersten Begegnung mit Pozzo und Lucky von oben ihre Eindrücke kommentieren.
Sensationell gut ist dieses Darstellerquartett, das die hoffnungslose ­Farce in manchmal geradezu amimalische Ausdrucksformen überträgt. Alle ausstaffiert mit schwarzen Anzügen und Hüten (Kostüme: Maria Rauch) wie Charlie Chaplin als ewiger Tramp. Sie sind tragikomische Daseins-Clowns mit Hang zum Suizid (da der Eiffelturm ihnen versperrt ist, wäre der romantische Baum eine diskutable Möglichkeit) und verspielter ­Existenzangst. Da ist der ungemein bewegliche Estragon von Roland Riebeling (als Gast eingesprungen, schon unter der Generalintendanz von Klaus Weise vom Publikum hochgeschätzt), der ständig mit seinem ­drückenden Stiefel beschäftigt ist, anscheinend jede Nacht von Fremden brutal verprügelt wird und wie ein Hund nach abgenagten Knochen giert. Von Estragons Albträumen will der von Klaus Zmorek perfekt zwischen Empathie und skurrilem Eigensinn verkörperte Wladimir überhaupt nichts wissen. Das unzertrennliche Paar vertreibt sich die Zeit mit ­zweckfreien Spielen und wiederholten pantomimischen Ritualen.
Quasi in Zeitlupe wandern jedoch vom Rand her schon der Gutsherr ­Pozzo mit Reiterstiefeln und Peitsche und sein Sklave Lucky ins Spielfeld der Wartenden. Daniel Stock gibt mit Reitstiefeln und peitschenknallend den unbarmherzigen Herrn, der manchmal wie ein mächtiger Raubvogel kreischt und seinen Diener („Du Schwein“) aus Lust an der Demütigung zum Lasttier degradiert. Alois Reinhardt spielt mit grandioser körperlicher Intensität das unterdrückte Geschöpf. Zu einem Höhepunkt gerät Luckys von Pozzo erzwungenes „lautes Denken“. Wie er plötzlich aufrecht in einer vollkommen verwirrten Rede höchst eloquent die Sinnlosigkeit aller Weltbegründungen zelebriert, ist atemberaubend.
Im zweiten Akt sind Lucky stumm und Pozzo blind. Und wieder beginnt das Spiel: „Komm, wir gehen. – Wir können nicht. – Warum nicht? – Wir warten auf Godot. – Ach ja.“ Und am Ende erscheint wie vor der Pause wieder ein Botenjunge (in der besuchten Vorstellung: Moritz ­Hamelmann), um den einsam Wartenden mitzuteilen, dass Godot heute nicht kommen könne, aber morgen sicher.
Voigts Inszenierung verlässt sich zu Recht ganz auf die virtuosen Schauspieler. Die Vorstellung des doppelten Einakters ist zwar lang, aber unwiderstehlich und erstaunlich unterhaltsam. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden, inkl. einer Pause


Donnerstag, 01.08.2019

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