Lena Geyer - kultur 153 - Februar 2019

Bolette, Éliante, Mariedl und Marie - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Lena Geyer

Vor ein paar Tagen haben die Proben zu Ferenc Molnárs Liliom in der Regie von Sascha Hawemann begonnen. Lena Geyer spielt die Marie, Freundin von Lilioms geliebter Julie. „Klar denkt man bei dem Stück sofort an den Prater, wo es in der deutschen Übersetzung ja auch spielt“, sagt die 1991 in Wien geborene Schauspielerin. Dort entstand auch ihre Theaterleidenschaft. „Mit meiner Mutter ging ich dauernd ins Theater. Wir hatten gleich mehrere Abos. Ich habe es immer schon geliebt, Geschichten erzählt zu bekommen. Theater war dafür einfach der beste Ort.“
Ihre erste Rolle sei eine Zwetschge gewesen, berichtet sie lachend. Das war noch auf der Grundschule in dem Kinderstück Kleine Raupe Nimmersatt. Auf dem Gymnasium ging es mit dem Schultheater und dem Fach „Darstellendes Spiel“ weiter. „Wir machten anspruchsvolle Stücke wie z. B. Club der toten Dichter und literarische Klassiker.“ Mit 14 Jahren stand ihr Entschluss endgültig fest: Ich will Schauspielerin werden. Sie überredete ihre Eltern, sie beim Jugendclub des Wiener Theaters der Jugend anzumelden. Sie überzeugte beim begehrten Casting und konnte nun regelmäßig mit Theaterprofis arbeiten. Als besonders spannend nennt sie die Jugendclub-Eigenproduktion Die Revolution frisst ihre Kinder nach Büchners Dantons Tod. Weiter ging es dann mit der „Jungen Burg“. „Es ging da weniger um die Stücke selbst als um Improvisation und die Arbeit in der Gruppe. Außerdem ist es natürlich einfach toll, wenn man auf dem Lusterboden proben darf, in der Maske und Kantine Bühnenstars begegnet und überall die Atmosphäre dieses beeindruckenden Hauses hautnah erfährt.“ Ungefähr zwei Jahre lang wirkte Lena Geyer als Oberstufenschülerin dort mit. „Zu etlichen Freundinnen und Freunden aus der Zeit habe ich immer noch Kontakt, obwohl bei weitem nicht alle sich dann dauerhaft fürs Theater entschieden haben. Es hat mir viel erleichtert, dass ich von Anfang an so klar wusste, was ich wollte und mir keinen anderen Beruf für mich vorstellen konnte. Meine Eltern fanden meine Entscheidung mutig und haben mich tatkräftig unterstützt.“
Nach dem Abitur begann sie ein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und ging nebenbei an Schauspielschulen vorsprechen. „Das wissenschaftliche Studium war mir eigentlich zu theoretisch, aber in den zwei Jahren habe ich doch auch eine Menge gelernt. Den Studienplatz an einer Schauspielschule musste ich mir schon hart erkämpfen, das hat eben gedauert. Und weil man aus Rück­schlägen immer gestärkt hervorgehen sollte, habe ich nicht locker gelassen mit den Bewerbungen. So nach dem Schrotflintenprinzip, irgendwann kommt der Volltreffer.“ 2012 war es soweit, sie bekam einen Studienplatz an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig. „Ich kannte die Stadt überhaupt nicht und war wohl seit Langem die erste Österreicherin dort im Schauspiel-Studiengang. Leipzig war ein Glück für mich, weil man dort in den ersten beiden Jahren handwerklich wirklich gefordert wird. Wir hatten sehr strenge Sprechdozenten. Die meisten Wiener kommen ja nicht raus aus Wien, weil es da halt so schön ist (lacht) und behalten ihre typische Sprachmelodie. Das hätten mir die Leipziger Sprechdozenten nicht durchgehen lassen.“ Lena Geyer beherrscht neben ihrem ­Heimat­dialekt übrigens auch fließend Kärntnerisch, weil ein Teil ihrer Familie aus der Gegend um Klagenfurt stammt.
Eine Besonderheit der Ausbildung in Leipzig ist die Kooperation mit Studiobühnen. Seit 2014 ist das Schauspiel Köln Partner für die Bühnenpraxis des Nachwuchses im 3./4. Studienjahr. „Ein bisschen weit weg zwar, aber die Dozenten kommen natürlich zu den Abschlussprüfungen. Die Integration in ein professionelles Ensemble ist eine tolle Gelegenheit, die Härten des Berufsalltags ganz direkt zu erfahren.“ Lena Geyer gehörte zu den ersten Leipziger Studierenden, die nach Köln zogen und dort an verschiedenen Produktionen beteiligt waren. Sie spielte u. a. die Kammerzofe Rosalie in Kleists Käthchen von Heilbronn (Regie Stefan Bachmann), übernahm die Rolle der Liz in Dogville nach Lars von Trier in der raffiniert verspiegelten Inszenierung von Bastian Kraft und verkörperte die Atalante in Simon Solbergs spannenden Argonauten. Ein Helden-Roadtrip. Das Spiel in großen Hallen wie den Kölner Ausweichspielstätten Depot 1 und 2 gefällt ihr gut. In der Halle Beuel ist sie 2016 nur noch als Einspringerin für Mareike Hein in Schöne neue Welt aufgetreten.
Ihr erstes festes Engagement nach dem Abschluss ihres Studiums trat Lena Geyer in der Spielzeit 2016/17 am Schauspiel Bonn an. Ihr erstes Stück hier war Love you, Dragonfly von Fritz Kater in der Regie von Alice Buddeberg. „Das war keine leichte Kost und wurde von dem Publikum auch nicht so einfach angenommen, obwohl die Arbeit großen Spaß gemacht hat. In den Sommerferien vor der Uraufführung habe ich immer wieder mit meinem Vater, der mittlerweile auch ein begeisterter Theaterbesucher ist, über die verschiedenen historischen Situationen ­diskutiert.“ In den Buddenbrooks saß sie als arme Verwandte Klothilde lange im Hintergrund. „Es war ziemlich anstrengend, sprachlos ständig anwesend zu sein und dann plötzlich mit einem riesigen Fremdmonolog einzusteigen.“ Sehr gut gefallen hat ihr dagegen die Arbeit mit Martin Nimz an Ibsens Frau vom Meer. Sie spielte wunderbar vielschichtig die antiromantische Tochter Bolette, die die Welt wirklich erforschen will. Richtig ans Herz gewachsen ist ihr die Mariedl in Werner Schwabs Präsidentinnen (Regie Robert Gerloff) in der Werkstatt. „Es war eine große Freude, mit den beiden wunderbaren Kolleginnen zu arbeiten. Außerdem ist der Text ganz stark, und Schwabs österreichisch gefärbte Sprache finde ich natürlich toll.“
Unter den diversen Produktionen, in denen sie in Bonn mitwirkte (schön aufgelistet auf ihrer leicht zu findenden Homepage), gefällt ihr in dieser Spielzeit besonders Molières Menschenfeind in der Übertragung von Hans Magnus Enzensberger, inszeniert von Jan Neumann. Ihre Éliante ist nicht schüchtern oder naiv, sondern eher eine nüchterne Menschenfreundin, die genau begreift, dass alle ihre Abgründe haben. „Es ist eine großartige Komödie, und außerdem macht es Spaß, in einem regelmäßig so ausverkauften Haus zu spielen.“
Das gilt auch für die musikalische Revue Linie 16 von Simon Solberg. Da ist sie erst an den letzten Probentagen eingestiegen, weil sie vorher noch in anderen Produktionen im Einsatz war. Zuckerjunkie, Plastiksuperwoman und Mutter Erde waren nicht ihre eigenen Erfindungen, aber bei den Figuren und Texten hatte sie durchaus eigenen Spielraum. „Das Schöne an dem Beruf ist ja, dass man für den Spaß auch noch bezahlt wird … Nein ganz im Ernst: Die Ausbildung ist nie abgeschlossen; man kann nicht stehenbleiben und muss sich ständig weiterentwickeln.“ Auch wegen der ganz unterschiedlichen Herausforderungen fühlt sie sich am Schauspiel Bonn sehr wohl. Gern betätigt sie sich auch als Vorleserin und Sprecherin. Meistens ist sie mit dem Fahrrad unterwegs und auch sonst eine begeisterte Sportlerin. Obwohl ihr für Skifahren und Snowboarding (natürlich in ihrer österreichischen Heimat) gerade kaum Zeit bleibt.
Was sie demnächst vielleicht mal spielen möchte? „Zu meinen Lieblingsdramatikern gehören Ibsen und vor allem Tschechow. Da entdecke ich immer wieder Neues. Sehr reizen würde mich – bei meinem Vornamen naheliegend – auch mal Büchners Lena. Leonce und Lena ist in meinen Augen die schönste, lustigste und traurigste deutsche Komödie. Und hat in ihrer Poesie ein bisschen Ähnlichkeit mit Liliom, obwohl dazwischen ja mehr als 80 Jahre liegen.“

Mittwoch, 31.07.2019

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