Marx in London - Uraufführung in der Oper - kultur 152 - Januar 2019

Marx in London
Foto: Thilo Beu
Marx in London
Foto: Thilo Beu

Gelungene musikalische Komödie

Angst vor schwieriger ‚moderner‘ Musik muss man bei dem britischen Komponisten Jonathan Dove nicht haben. Manche Bonner Opernfreunde erinnern sich noch an seine erfolgreiche Familienoper Pinocchios Abenteuer. Seine Musik ist flott und durchweg tonal, problemlos eingängig, voller witziger Anspielungen und trotzdem anspruchsvoll. Eine Komödie zum 200. Geburtstag des kommunistischen Vordenkers Karl Marx ist ein originelles Geschenk. Das Premierenpublikum begrüßte die Uraufführung des Auftragswerks von Theater Bonn jedenfalls mit einhelliger Begeisterung. Die Idee zu dem Stück ist schon etwas älter. 2011 inszenierte Jürgen R. Weber in Chemnitz, das zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt hieß, die deutschsprachige Erstaufführung von Doves Swanhunter. Weber entwarf das Szenario für eine Marx-Oper und hat nun auch Regie geführt bei der sehr unterhaltsamen Präsentation.
Das Libretto stammt von Doves Landsmann Charles Hart. Gesungen wird auf Englisch, was ein bisschen schade ist, weil man bei dem hohen Tempo dem frechen Wortwitz des Textes in der deutschen Übertitelung kaum folgen kann. Dafür gibt es außerordentlich viel zu sehen in der phantasievollen Ausstattung von Hank Irwin Kittel. Hohe Wände im Hintergrund suggerieren die Metropole London und das Ursprungsland der Industrialisierung. Ab und zu stoßen sie Dampf aus wie gewaltige Maschinen. Für die schnell wechselnden Szenen gibt es Plattformen auf Rädern, die an Eisenbahn-Güterwagen erinnern. Bewegt von schwitzenden Statisten: Die Arbeiterklasse da unten bleibt anonym im bürgerlichen Leben des Revolutionsphilosophen.
Nur über eine steile Wendeltreppe erreichbar ist die Wohnung der Familie Marx. Und die wird gerade ausgeräumt von einem Arbeiter-Trupp. Denn der Theoretiker des Kapitals leidet unter notorischem Geldmangel. Sein Appell an die „Proletarier aller Länder“ verhallt ungehört, die letzten Alkoholreserven sind bald aufgebraucht, das gepfändete Mobiliar wird gnadenlos abtransportiert. Karl Marx greift schließlich zum Äußers­ten und versucht vergeblich, das Familiensilber seiner Gattin Jenny von Westphalen bei einem Pfandleiher (Bojan Di, wie Di Yang ein chinesisches Nachwuchstalent von der kooperierenden Kölner Musikhochschule) zu Barem zu machen. Mark Morouse mit grauer Marx-Mähne und Rauschebart verkörpert großartig den Titelhelden, der es nicht leicht hat mit seiner Familie im Exil. Insbesondere mit seiner Gattin Jenny (mit hochdramatischem Sopran: Yannick-Muriel Noah), „geboren für den eleganten Müßiggang“ und an der Seite eines „nichtsnutzigen Verschwenders“ tief gesunken. Um das wegzuschlucken, bedarf es eines gründlichen Besäufnisses mit der tüchtigen Haushälterin Helene.
In dieser Partie glänzt Ceri Williams mit ihrer warmen tiefen Stimme. Helene Demuth ist wie viele andere in diesem Stück eine historische Figur und war mit großer Wahrscheinlichkeit Mutter eines 1851 in London geborenen unehelichen Marx-Sohnes. Ausgerechnet dieser Freddy (mit tenoralem Schmelz: Christian Georg) taucht unversehens vor dem Marx-Haus auf und weckt das Interesse vom Marx‘ pfiffiger Tochter Tussy. Die junge Sopranistin Marie Heeschen bewältigt nicht nur mit stupender Leichtigkeit die glitzernden Koloraturen der Partie, sondern ist in ihrem modischen historischen Kleid auch spielerisch ein Vergnügen. Den Pistolenritt mit ihrem Freddy, den sie als Halbbruder doch nicht heiraten kann, muss man einfach gesehen haben. Ebenso wie das über allem am Bühnenhimmel schwebende putzige rote Flugzeug, in dem ein Spion (der junge Tenor David Fischer) unermüdlich seine Rechercheergebnisse in eine mechanische Schreibmaschine hackt.
Wir schreiben übrigens den 14. August 1871, und der geht nach allerhand Turbulenzen doch noch gut aus mit einem heiteren Picknick bei ­bester Aussicht auf London. Der italienische Anarchist namens Melanzane (Jonghoon You) hat gegen Marx‘ rhetorische Brillanz keine Chance. Ein reicher Geschäftsmann namens Franz (Di Yang) stiftet eine hübsche Summe, die sich leider bei einer Lokalrunde im Pub schnell wieder verflüchtigt. Aber glücklicherweise gibt es ja den getreuen Friedrich Engels (in Gestalt von Heldentenor Johannes Mertes), der seinen noblen Weinkeller für die gute Sache verscherbelt.
In der British Library hat Marx zuvor eher der Heilung seines von Karbunkeln heimgesuchten Sitzfleisches nachgeforscht als der internationalen Politik. Im Traum erscheint ihm aber doch die große Utopie von der Befreiung des Proletariats. Dem Opernchor (die Herren haben mehr zu tun als die Damen) unter der Leitung von Marco Medved gönnt Dove gern auch mal echtes Pathos. Für die musikalische Leitung am Pult des höchst animiert aufspielenden Beethoven Orchesters konnte mit dem erfahrenen britischen Dirigenten David Parry ein Spezialist gewonnen werden, der die Verwicklungen auch musikalisch wunderbar zum Leuchten bringt.
Eine Rechtfertigung des Marxismus ist das Ganze ebenso wenig wie eine kritische Auseinandersetzung mit einem gescheiterten Gesellschaftsmodell. Eher eine heiter lustvolle Entzauberung weltbewegender Ideen. Mit einem kräftigen Schuss Satire, aber auch ein paar Tropfen Nachdenklichkeit. Unbedingt hörens- und sehenswert!
Der bei der Uraufführung anwesende Komponist hat vieles direkt auf das hervorragende Bonner Ensemble zugeschnitten. Die Koproduktion mit der Scottish Opera wird (trotz Brexit) auf die Insel wandern und hat wirklich das Zeug, sich als eine der wenigen zeitgenössischen Opern im internationalen Repertoire zu etablieren. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 ½ Stunden, inkl. einer Pause
Die weiteren Vorstellungen:
12.01.// 20.01. // 2.02. // 8.02. // 14.02.19

Mittwoch, 30.01.2019

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