Lohengrin - Oper Bonn - kultur 151 - Dezember 2018

Lohengrin
Foto: Thilo Beu
Lohengrin
Foto: Thilo Beu

Erlösung durch Kunst

Als „blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung“ beschrieb Nietzsche das Vorspiel zu Wagners Oper Lohengrin. Diese Klangmagie macht Generalmusikdirektor Dirk Kaftan am Pult des fabelhaft differenziert spielenden Beethoven ­Orchesters Bonn wunderbar deutlich. Hervorzuheben sind unbedingt die glänzenden Blechbläser-Solisten, die sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum zum Einsatz kommen. Überhaupt: Die ganze Aufführung hat musikalisches Weltklasse-Niveau. Regisseur Marco Arturo Marelli (auch verantwortlich für Bühne und Licht), der nach gut einem Vierteljahrhundert an den Rhein zurückgekehrt ist, dekonstruiert Wagners letzte „romantische Oper“ nicht, sondern erzählt klar die märchenhafte Geschichte und zeigt gleichzeitig ihre Brüche auf. Kaum eine Oper sei so mit historischem Ballast befrachtet, schreibt er im Programmheft: „gewissermaßen eine Projektionsfläche für nationalistisch orientierte Gemüter, in deren Köpfen das Werk eine seltsame Melange aus Volk, Staat, Mythos anrührt.“
Elsas Bett bleibt gleichsam als Hort der Unschuld die ganze Zeit auf der rechteckigen weißen Spielfläche stehen. Drumherum türmen sich zerklüftete Platten wie Caspar David Friedrichs Eisschollen. Beim Vorspiel erblickt Elsa träumend ihren Retter auf einer kreisrunden Scheibe im Hintergrund. Er sitzt in sich versunken am Flügel, das Ritterkostüm wird er erst anziehen, wenn er seine Identität preisgegeben hat und endgültig in seine Kunstwelt zurückkehrt. Die Verschmelzung des Gralsritters mit dem Komponisten hat ihren Rückhalt in Wagners eigenen Äußerungen. Nur Elsa kann diese Sphäre erkennen, nur durch die bedingungslose Liebe einer Frau kann der (selbstverständlich männliche) absolute Künstler sich verwirklichen.
Elsas kleiner Bruder Gottfried blättert in seinem Bilderbuch, als aus der Versenkung wie eine böse Hexe Ortrud auftaucht und ihn verzaubert. Ein paar weiße Federn fliegen, aber Lohengrin erscheint auf der nach vorne schwebenden Raumschiff-Scheibe und bettet das Kind zärtlich in seinem Flügel. Gottfried ist nun aufgehoben in der Kunstwelt. Von vornherein klar wird zudem: Elsa wird zu Unrecht des Brudermordes angeklagt.
Die Sopranistin Anna Princeva – in ihrer ersten Wagnerrolle überhaupt – verkörpert stimmlich glänzend und darstellerisch intensiv das naive junge Mädchen, dessen Leidenschaft von dem Fremden geweckt wird und schließlich an dem fatalen Frageverbot zerbricht. Es ist nicht möglich, sein Leben zu teilen mit jemandem, dessen Herkunft und Namen man nie erfahren darf. Das weiß ihre Widersacherin Ortrud, deren psychologisch raffinierten Einflüsterungen die verzweifelte Elsa schließlich erliegt. Dshamilja Kaiser singt mit leuchtendem Mezzosopran und ungeheurer Bühnenpräsenz die nach Macht verlangende friesische ­Fürs­tentochter Ortrud. Sie huldigt weiter ihren alten heidnischen Göttern und hat wenig übrig für die Verteidiger des christlichen Abendlands. Im Gegensatz zum Unschuldsweiß von Elsa und Lohengrin trägt sie ein farbig schillerndes Gewand (Kostüme: Ingeborg Bernerth).
Marellis Inszenierung überzeugt trotz der Einheitsbühne mit vielen starken Bildern. Den legendären von einem Schwan gezogenen Kahn gibt es jedoch nicht. Lohengrin trägt auch keine schimmernde Rüstung, wenn er aus seiner mystischen Gralsrunde in die Menschenwelt herabsteigt. Sogar der Zweikampf mit Telramund verläuft gewaltlos. Dessen Schwert steckt wie von Zauberkräften fixiert im Boden fest. Der Tenor Mirko Roschkowski, ehemaliges Bonner Ensemblemitglied, gibt sein Rollendebüt als Lohengrin bravourös. Seine helle, bewegliche Stimme trägt kraftvoll über alle Gefühlsschwankungen bis zu der großen Gralserzählung am Ende. Er ist nicht der maskulin auftrumpfende, strahlende Held, sondern ein Heils- und Friedensbringer in einer kriegerischen Welt. Er wird nicht das christliche Heer anführen beim Feldzug gegen die drohende ‚Gefahr aus dem Osten‘.
Die ist ja der eigentliche Anlass für den Besuch des deutschen Königs Heinrich in Brabant. Pavel Kudinov verkörpert den würdevollen Herrscher mit kultiviertem Bass. Dunkler und manchmal bewusst rau klingt der Bass des Isländers Tómas Tómasson, der eindrucksvoll den innerlich zerrissenen, von seiner ehrgeizigen Frau Ortrud angestachelten Friedrich von Telramund spielt. Als Heerrufer des Königs ist der junge Bariton Ivan Krutikov im modernen Business-Anzug mit Aktentasche fast ständig präsent.
Eine großartige Leistung liefert unter der Leitung von Marco Medved der durch den Extrachor verstärkte Opernchor. Er ist (inkl. Solisten und Mitgliedern des von Ekaterina Klewitz geleiteten Kinderchors) ein Hauptakteur der Handlung. Er mimt das wankelmütige Volk und die mit Stahlhelmen und braunen Uniformen im Gleichschritt marschierenden Soldaten. Heilrufe und zum bekannten Gruß gereckte Arme gibt es auch, manche Textstellen der Oper sind heutzutage schwer erträglich. Zu Beginn des dritten Aufzugs lässt Marelli riesige Lanzen vom Himmel fallen, die sich bedrohlich in den Boden bohren. Er erlaubt sich aber auch witzige Momente: Im Brautgemach wird vorsorglich schon eine kleine weiße Wiege aufgestellt.
Gänzlich überflüssig, denn Parzivals Sohn Lohengrin muss die irdischen Gefilde schon bald wieder verlassen. Elsa und Ortrud sinken entseelt zu Boden. Aber Gottfried kommt lebendig zurück und zieht mühelos Lohengrins Schwert aus der Erde, während dieser wieder am Flügel seiner Kunstreligion huldigt.
Spannend ist dieser genau durchdachte, nicht mit spektakulären Regieeinfällen aufpolierte Lohengrin von der ersten bis zur letzten Minute. Ein Ereignis ist die musikalische Gestaltung, die den Vergleich mit großen internationalen Häusern nicht zu scheuen braucht. Stürmischer Premierenbeifall! E.E-K.

Spieldauer ca. 4 ½ Stunden, inkl. zwei Pausen
Die nächsten Vorstellungen:
21.12. // 26.12.18 // 6.01. // 17.01. // 1.02. // 23.02. // 16.03. // 30.03. //14.04.19

Dienstag, 22.01.2019

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