Gardi Hutter- kultur 150 - November 2018

Lachen am Rande des Abgrunds - Clownin Gardi Hutter holt erstmals ihre Kinder auf die Bühne

von Thomas Kölsch

Der Tod ist das größte Scheitern des Menschen. Die endgültige Niederlage, der letzte verlorene Kampf. Jede andere Herausforderung kann gemeistert, jede Aufgabe gelöst werden – doch der Tod ist unausweichlich. Das einzige, was man also tun kann, ist, ihn zu akzeptieren. „Und über ihn zu lachen“, sagt Gardi Hutter. Die legendäre Clownin muss es wissen: Acht Bühnenprogramme hat sie in 37 Jahren geschrieben, und in jedem davon tritt ihre Figur Hanna irgendwann ab. Im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne. Achtmal stirbt sie, mitten im Scheinwerferlicht, nur um dem Schnitter aus tiefster Überzeugung ins Gesicht zu lachen. „Dieser Konflikt ist das Ur-Thema des Clowns“, glaubt Hutter. „Er versinnbildlicht das Aufbegehren gegen die Mächte, die uns Menschen beherrschen.“ In ihrem aktuellen Programm Gaia Gaudi treibt die Schweizerin dies auf die Spitze, indem sie ihre Hanna gleich zu Beginn ins Jenseits übertreten lässt – und sich bei der Auferstehung ausgerechnet von ihren Kindern helfen lässt.
Insofern ist Gaia Gaudi auch ein Stück über den Generationenwechsel. Nicht, dass Hutter ans Aufhören denkt oder dass ihre Tochter Neda, ihr Sohn Juri oder ihre Schwiegertochter Beatriz Hanna übernehmen könnten. „Wir haben alle ganz unterschiedliche Talente und Ansätze“, betont die Hutter. Tanz, Perkussion, Gesang. „Genau. Clowns sind sie aber nicht. Meine Kinder übernehmen daher auch nicht Hanna, zumindest nicht dauerhaft. Aber sie übernehmen den Raum, drängen mich also zur Seite. Meine Entwicklung in diesem Stück ist es, immer weniger zu werden.“ Und dadurch einen Abnabelungsprozess zu gestatten, der in ähnlicher Weise schon bei der Erziehung des Nachwuchses eine zentrale Rolle spielt. „Ich will ja, dass sie eigenständig werden, auch wenn das bedeutet, dass ich in ihrem Leben nicht mehr eine so wichtige Rolle spiele wie früher“, so Hutter. Ein ziemlich psychologischer Unterbau für ein Clowns-Stück. Und doch so typisch für die 65-Jährige.
Einfach hat Hutter es sich nie gemacht, und auch Gaia Gaudi macht dabei keine Ausnahme. „Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, ich stürze in einen Abgrund“, gesteht sie. „Wir sind einfach zu unterschiedlich in unseren Stilen, leben in verschiedenen Welten. Ab und zu hatte ich richtig Angst, ich könnte meine Familie verlieren.“ Zu intensiv waren die Proben, zu heftig gewisse Konflikte, die sich durch die enge Zusammenarbeit und das letztlich sehr persönliche Thema des Stückes offenbarten. „Andererseits lebt Theater vom Risiko“, so Hutter, „und wir hatten in der Familie schon immer eine gute Streitkultur. Das hat uns auch bei diesem Projekt sehr geholfen. Wir haben 15 Wochen lang intensiv geprobt und hatten dabei insgesamt vier Sitzungen mit Psychologen, deren Aufgabe es war, unsere Konflikte zu benennen und die Nöte dahinter aufzudecken. Das hat uns sehr geholfen, vieles klarer zu sehen.“ War das Stück somit also zumindest zum Teil auch eine therapeutische Maßnahme? „In gewisser Weise ja, denn wenn man Konflikte löst, kommt man sich näher“, sagt Hutter. „Und das ist uns gelungen.“
Nicht nur aufgrund der zahlreichen Ebenen des vordergründig clownes­ken Spiels ist Gaia Gaudi etwas Besonderes, auch die Kunst des visuell-körperlichen Theaters selbst ist längst zur Rarität verkommen. „Zugegeben, derzeit wird auf den Kleinkunstbühnen fast nur noch geredet“, gesteht Hutter, „aber ich mache mir da keine großen Gedanken. Ich bin jetzt schon seit 37 Jahren im Geschäft und habe festgestellt, dass der allgemeine Geschmack zyklisch verläuft.“ Wobei dieser ohnehin keine Rolle spielt: Gardi Hutter macht schließlich, was sie will. Das hat sie sich in all den Jahren verdient, nach über 3000 Vorstellungen in 28 Ländern. „Ich finde es überaus faszinierend, zu spielen“, sagt sie. „Und gerade als Clown wird man besser, je älter man wird. Ein guter Clown muss gären. Er muss Erfahrungen sammeln, muss scheitern und dann wieder aufstehen. Nur dann ist er in der Lage, mit tragisch-komischen Geschichten ohne Worte das Publikum tief zu berühren.“ Etwas, worauf sich Hutter bestens versteht, egal wo sie auftritt. „Ich bin ja viel international unterwegs, etwa in China, Brasilien oder in Mexiko. Die Clownsprache funktioniert auch dort, weil sie auf das Ur-Menschliche heruntergebrochen wird.“ Nämlich auf das lebensbejahende Lachen. Allem Scheitern zum Trotz.

Gardi Hutter ist am 28.11.18 mit ihrem Programm Gaia Gaudi im Pantheon zu Gast.
Karten gibt es für Mitglieder auch bei der Theatergemeinde.

Montag, 21.01.2019

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