Jan Herrmann - kultur 150 - November 2018

Jan Herrmann
Foto: Jennifer Zumbusch
Jan Herrmann
Foto: Jennifer Zumbusch

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Jan Herrmann - Seit 15 Jahren am Jungen Theater Bonn

Am Morgen vor unserem Gespräch hat er noch Gabys Vater in TKKG gespielt, nachmittags sind Proben für Räuber Hotzenplotz, wo er den Zauberer Zwackelmann und den Wachtmeister Dimpfelmoser verkörpert. Im Winter 2003 hat er im Jungen Theater Bonn angefangen: Als Mattis in Ronja Räubertochter. Vorher war er fünf Jahre lang festes Ensemble-Mitglied am privaten Theater „Die Färbe“ in Singen am Hohentwiel. „Es war eigentlich ein Zufall“, erzählt Jan Herrmann in Tromms Bar. „Ich wollte neue künstlerische Erfahrungen machen. Als das JTB kurzfristig über die ZBF (Zentrale Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung, heute ZAV) dringend einen neuen Mattis suchte, rief der Regisseur Andreas Lachnit an und lud mich zum Vorsprechen ein. Ich kam schon am nächs­ten Tag, Andreas holte mich auf die Bühne, wir hatten sofort einen Draht zueinander. Ich räumte also meine Wohnung in Stuttgart, deponierte meine Sachen unterm Dach des JTB und fing an zu proben.“ Seine erste hier eigenständig ­ent­wickelte Rolle war 2004 der brave Pater Finnegan in der wunderbaren Generationen-Komödie Harold & Maude, inszeniert von Andreas Lachnit. Ihn nennt Herrmann neben dem Singener Intendanten Peter Simon auch als den ‚Theatermenschen‘, der ihn am meisten geprägt hat. 2004/5 gab es eine kurze Unterbrechung seines Bonner Engagements aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen in Hamburg.
Der 1974 im schwäbischen Böblingen geborene Schauspieler träumte als Kind eher davon, Rennfahrer (Auto, Motorrad oder Fahrrad war eigentlich egal) zu werden wie sein Vater, der mit dem Auto gern Bergrennen fuhr. Mit neun Jahren entdeckte Jan die Faszination für den Fechtsport, der unter anderem immer noch zur klassischen Schauspiel-Ausbildung gehört. „Im Theater war ich während meiner Schulzeit sehr selten. Stuttgart liegt zwar ganz in der Nähe, aber es war abends fast unmöglich, wieder zurückzukommen. Ich schlüpfte zwar gern spielerisch in andere Identitäten, hatte aber wenig Spaß am Schultheater, das damals ja noch ­meis­tens von Deutschlehrern geleitet wurde. Den größten Einfluss auf mich hatten Filme im Fernsehen und im Kino.“
Als einschneidendes Erlebnis nennt Herrmann Es geschah am hellichten Tag, 1958 gedreht nach einem Stoff von Friedrich Dürrenmatt. „Unglaublich fasziniert hat mich Gert Fröbe als Kindermörder Schrott. Es sind ohnehin diese ganz großen, längst verstorbenen Charakter-Darsteller wie Fröbe, Helmut Qualtinger und Peter Ustinov, die mit unglaublicher Akribie unnachgiebig das Beste wollten, die mir die Schauspielerei interessant machten. Begeistert war ich zum Beispiel von dem Fernsehfilm Geschichten aus dem Wiener Wald mit Qualtinger als Oskar. Das war keine Verfilmung einer Aufführung des Horváth-Stückes, machte mich aber neugierig auf Theater.“
Gert Fröbe als Hotzenplotz in dem Kinderfilm von 1974 hatte Herrmann gerade gesehen, als er ihm 1978 persönlich begegnete. „Meine Eltern nahmen mich mit zu einem Christian Morgenstern-Rezitationsabend mit dem bekannten Star. Es war sehr voll, ich saß als vierjähriges Kind auf den Schultern meines Vaters, um überhaupt etwas zu sehen. Da stand Fröbe auf und sagte: ‚Bitte für unseren jüngsten Gast einen Stuhl in der ersten Reihe‘. Nach der Vorstellung nahm er mich mit in seine Garderobe und schenkte mir ein signiertes Buch. So sah ich diesen physischen Koloss erstmals aus der Nähe. Trotz seiner großen Ernsthaftigkeit hatte er etwas Kindliches, was mich tief ­beein­druckte.“
Noch während der Schulzeit reifte bei Herrmann der Entschluss zur Bewerbung für eine Schauspiel-Ausbildung. Er bekam auf Anhieb einen Platz an der Schauspielschule Stuttgart-Bad Cannstadt, einem staatlich anerkannten Berufskolleg für darstellende Kunst. Schon während des Studiums gastierte er am Stuttgarter Theater der Altstadt. Nach dem Diplom folgte dann gleich das Engagement in Singen. Herrmann spielte dort unter anderem den Giesecke in der Operette Im weißen Rössl, den Antoine Magneau in Vitracs Victor oder Die Kinder an die Macht sowie die Titelrolle in Shakespeares Othello.
Derzeit ist er in etlichen Produktionen des JTB beschäftigt wie in Die unendliche Geschichte, Rico, Oskar und die Tieferschatten, Löcher, Geheime Freunde, You are the Reason und TKKG. Hinzu kommen noch diverse auswärtige Gastspiele. Am Tag zuvor war er mit Tschick in Kevelaer, am Tag danach geht es mit Drei ??? nach Minden. „Das ist schon anstrengend, da wir auch selbst fahren. In der Regel sitzen ­Sandra Kernenbach und ich hinterm Steuer von einem oder zwei Kleinbussen. Das Nachwuchs-Ensemble findet es immer besonders toll, wenn wir weiter weg gastieren und Übernachtungen einplanen müssen.“ Im November ist das JTB mit Drei ??? in der Stadthalle Singen zu Gast. Herrmann freut sich schon darauf, weil er dann auch seine neunjährige Tochter trifft, die mit ihrer Mutter in der Stadt im südlichen Baden-Württemberg lebt.
Vaterrollen spielt er im JTB häufig. Ebenso wie Polizisten, die bei Krimi-Stoffen halt oft vorkommen. Ansonsten ist er fast schon abonniert auf die Bösewichter. „Man darf sie nicht eindimensional böse spielen, genau die Doppelbödigkeit der Figuren macht ihren Reiz aus.“ Wegen der Vielfältigkeit der Erfahrungen arbeitet er schon so lange am JTB. „Wir spielen hier für Jung und Alt und mit jungen Menschen, die die unterschiedlichsten Erfahrungen mitbringen.“ Für die Leitung von Kursen an der JTB-Schauspielschule hat er angesichts des vollen Spielplans zwar keine Zeit. „Aber die Proben sind wie ein Crash-Kurs: Atemtechnik, Aussprache, Bewegungen übe ich regelmäßig mit den jungen Kolleg*innen.“
Was ihm hier sonst noch besonders gefällt? „Das Eintauchen in verschiedene Wirklichkeiten wie etwa in der Tintentrilogie nach den Romanen von Cornelia Funke. Das Erlernen des Puppenspiels bei unserem ehemaligen technischen Leiter und Figurenbauer Michael Schmidt. Die Zusammenarbeit mit der britischen Company Tall Stories bei Für Hund und Katz ist auch noch Platz. Die Aufführung Supergute Tage in der Regie von Lajos Wenzel, die 2016 bei den Hamburger Privattheatertagen mit dem Monica-Bleibtreu-Preis ausgezeichnet wurde. Vor allem die ganz unterschiedlichen Spielweisen, die man in dieser Vielfalt an anderen Bühnen kaum hat.“
Gewiss würde er auch gern wieder Experimente machen wie Kafkas Bericht für eine Akademie (Regie: Andreas Lachnit) 2012 im Keller der nahen „Rheinlust“. Aber bei so vielen ­festen Spiel- und Probenterminen bleibt dafür kaum noch Luft. Einem einmaligen Experiment hat er sich kürzlich bei der zweiten Aufführung von Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen im Euro Theater Central ausgesetzt. „Das war wirklich spannend. Allerdings mag ich es nicht, wenn das Publikum permanent mit einbezogen wird. Das birgt die Gefahr von peinlicher Bloßstellung des Publikums wie bei vielen schrecklichen TV-Sendungen. Mir ist die vierte Wand quasi ‚heilig‘. Meine Heimat ist die Bühne, wo paradoxerweise exakt wegen der Kunst der Wiederholung alles immer neu geschieht.“

Montag, 21.01.2019

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn