La Chute - Euro Theater Central Bonn - kultur 149 - Oktober 2018

La Chute
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de
La Chute
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de

Bewegter Essay in der Originalsprache

Auf Deutsch brachte das Euro Theater Central als Koproduktion mit der Tanzkompanie bo komplex Der Fall von Albert Camus vor genau einem Jahr heraus. Jetzt gibt es La Chute in der französischen Originalsprache. Wieder verkörpert der Tänzer Olaf Reinecke das Alter Ego des selbsternannten Bußrichters Jean-Baptiste Clamence, der in einer großen Lebensbeichte von seinem Sturz aus allen Gewissheiten berichtet. Der Bonner Schauspieler Johannes K. Prill, perfekt bilingual, spielt den ­Clamence ungemein konzentriert und bewegt sich sehr genau auf den Wellen des Sprachflusses. Camus‘ knapper, präziser Stil, den Roland Barthes einmal „Écriture blanche“ nannte, kommt so wirklich zum Tragen. Verbale Feinheiten und metaphorische Strukturen werden transparenter, als es jede noch so gute Übersetzung vermag.
Die fünf Monologe in Camus‘ 1956 veröffentlichtem letztem Roman sind dramatische innere Dialoge. Das macht die Inszenierung von Bärbel Stenzenberger überzeugend klar. Der Tänzer ist einerseits Adressat der Botschaft des Redners, mischt sich auch mit sprachlichen und körperlichen Kommentaren ein, bleibt aber andererseits stets Spiegelfigur des Gesagten. Clamence berichtet mit leiser Ironie von seinem früheren Leben als erfolgreicher Anwalt in Paris, seinem selbstgefälligen Opportunismus, seinen Schuldgefühlen, den Demütigungen im Kriegsgefangenenlager und dem schließlichen Untertauchen im Amsterdamer Hafenviertel.
In allen Episoden spielt das Wasser eine Rolle, das hier am Ende die kleine Bühne flutet. Angefangen bei der Brücke, von der eine junge Frau in die Seine sprang und ertrank. Bis hin zur niederländischen Stadt, die unter dem Meeresspiegel liegt und deren konzentrische Kanäle er mit den Kreisen der Hölle aus Dantes Göttlicher Komödie vergleicht. Wasser, das Leben spendet und zerstört. Möglicherweise auch von Sünden reinigt: Immerhin bedeutet sein Vorname „Johannes der Täufer“. Aber wo bleibt die Gerechtigkeit? Einige Male wird das im Text genannte Bild „Die gerechten Richter“ aus Jan van Eycks berühmtem Genter Altar eingeblendet. Die Tafel wurde bekanntlich 1934 geraubt und ist seitdem verschollen. Hat Clamence sie sich angeeignet?
Hinter allen Fragen lauert das unerhörte Lachen der Selbstmörderin, das ihn seit Jahren verfolgt. Im Euro Theater, in dem man notwendig sehr nah bei den Akteuren ist, wird daraus ein beeindruckend sinnliches Psychogramm eines Menschen, der wie der mythische Janus zwei Gesichter hat. Zwischen ernstem Verantwortungsbewusstsein und sich selbst zugeschriebener exis­tenzieller Lächerlichkeit. Für das frankophone Bonner Publikum und Französisch-Oberstufenkurse dringend zu empfehlen. Die deutsche Fassung (mittlerweile mit dem Schauspieler Julian Baboi) bleibt weiterhin im Reper­toire. E.E.-K.
Spieldauer ca. 75 Minuten, keine Pause
Die nächste Vorstellung: 20.10.18

Donnerstag, 17.01.2019

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