You Are The Reason - Junges Theater Bonn - kultur 148 - Juli 2018

Szene aus "You are the reason"
Foto: Thomas Kölsch
Szene aus "You are the reason"
Foto: Thomas Kölsch

Zwischen Schein und Wirklichkeit

Die 16-jährige Schülerin Eloise hat zahlreiche Freunde in den sozialen Medien. Mehr als 100.000 Menschen sehen regelmäßig die Videos auf ihrem Youtube-Kanal. Die vielen Likes auf Facebook sind mittlerweile die wichtigste Quelle ihres Selbstbewusstseins. Im wirklichen Leben hat sie kaum Freunde und ist meistens allein. Ihre Mutter ist früh gestorben, ihr Vater ist ständig auf Geschäftsreisen unterwegs und meldet sich per Skype von anderen Kontinenten. Eloise hat sich verknallt in ihren Mitschüler Manuel, und der veröffentlichte ihren intimen Liebesbrief flugs im Netz. Eine bodenlose Gemeinheit, die Rache verdient. Eloise plant also zusammen mit der gleichaltrigen Mia, die selbst als ziemlich erfolgreiche Influencerin im Netz aktiv ist, eine Party mit allem, was Spaß macht. Was ihre ­Gäs­te nicht ahnen: Eloise hat vier Kameras im Raum versteckt, die alles per Live-Stream übertragen. Die Mädels in sexy Shorts (Kostüme: Katharina Kaster), die Jungs scheinbar total cool. Vor allem deren Blamage ist programmiert, und alle da draußen sollen es mitbekommen. Was die Voyeure an ihren Bildschirmen nicht ahnen: Aus dem bösen Spiel wird plötzlich Ernst, als zwei brutale Gangster hereinstürmen, um Lösegeld von den Eltern der Jugendlichen zu erpressen.
Die ganz dicht an der Lebenswelt heutiger Jugendlicher angesiedelte Story von You Are The Reason hat JTB-Intendant Moritz Seibert (Regie und Bühne) gemeinsam mit Mitgliedern des jungen Darsteller-Teams verfasst. Fast alle verfügen bereits über reichlich Bühnenerfahrung, einige auch im Kinder- und Jugendchor der Oper. Ihre ruppigen Dialoge nehmen kein Blatt vor den Mund. Der Clou der Inszenierung sind freilich die vier riesigen Video-Screens, die das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zeigen. Das Publikum im Saal sieht also immer die realen Akteure auf der Bühne und gleichzeitig einzelne Ausschnitte, Gesichter in Großaufnahme und herangezoomte Details. Das zwingt zur Reflexion der eigenen Wahrnehmung und der Steuerung des Blicks durch mechanische Beobachtungsgeräte. Es fragt auch deutlich danach, was passiert, wenn private Interessen rücksichtslos dominieren und andere öffentlich bloßstellen. Eloise benutzt ihre Mitschüler als Geiseln ihrer unbefriedigten Sehnsucht nach Zuwendung und wird mit ihrer konstruierten virtuellen öffentlichen Anerkennung selbst zur Geisel krimineller Profiteure.
Wenn sie dann verängstigt im Keller hocken, wird klar, dass alle letztlich auf der Suche nach sich selbst sind. Der einsame Youtube-Star ­Eloise (Eileen Rode), die kesse Mia (Tamina Friedrich), die naive Amélie (Fabiola Mon de la Fuente), der Mädchenschwarm Manuel (Oscar Kafsack), der sensible Milan (Tristan Witzel) und der schüchterne Finn (Karl Junker) – jeder zeigt in der lebensbedrohlichen Situation seine besonderen Verletzlichkeiten. Sie spielen ihre Figuren psychologisch so differenziert, dass sie wirklich berühren. Alle offenbaren Gründe für ihr Verhalten. Auf ihre dramaturgische Funktion reduziert sind dagegen die erwachsenen Profi-Schauspieler Jan Herrmann und Sandra Kernenbach als Verbrecher-Duo. Die sugges­tive Musik hat der bekannte Bühnenkomponist Serge Weber eigens für diese Produktion geschaffen, die nach Wenn ich du wär und Ich sehe was, was du nicht siehst die Reihe der Stückentwicklungen am JTB fortsetzt. Diesmal besonders überzeugend, weil die Vorstellung genau die ästhetischen Mittel einsetzt, deren Wirkung kritisch befragt wird. Einfache Antworten gibt es in dem spannenden Psychokrimi nicht, dessen Lösung hier natürlich nicht verraten werden darf.
Die besuchte dritte Aufführung war fast ausverkauft und erhielt begeisterten langen Beifall. E.E.-K.

Empfohlen für Publikum ab 13 Jahren.
Spieldauer ca. 2 Stunden inkl. Pause
Die nächsten Vorstellungen:
5.10. // 22.11.18

Mittwoch, 16.01.2019

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 18.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn