Schlafende Hunde - Werkstatt- kultur 148 - Juli 2018

Schlafende Hunde
Foto: Thilo Beu
Schlafende Hunde
Foto: Thilo Beu

Das herbe Gift der Nostalgie

In der Agentur nennen sie ihn Jesus Christus, weil er Tote wieder auferstehen lässt. Danni soll Frank auf die Bühne zurückholen, der vor einem Vierteljahrhundert die Säle füllte. Zusammen mit Partnerin Claudia das Traumpaar des deutschen Schlagers. „Wir werden niemals auseinandergehn“, dann der Sturz aus dem siebten Schnulzenhimmel. In der alternden Gesellschaft blüht jedoch das Geschäft mit Erinnerungen. Schön war’s, als man noch glaubte, dass es immer wieder Wunder gäbe und Tränen nicht lügen könnten. Der Schlager transportiert einfache Weisheiten, nach denen viele sich sehnen wie nach den ­lus­tigen Musikanten aus der Zeit vor der Rock- und Rap-Welle.
Die Kommerzialisierung der Nostalgie ist jedoch nur ein Motiv in Lothar Kittsteins neuem Stück Schlafende Hunde. In Stefan Rogges Uraufführungs-Inszenierung wird viel geraucht. Obwohl der Zigarettenautomat um die Ecke längst ebenso kaputt ist wie das ganze trostlose Provinznest, in das Claudia zurückgeschlüpft ist. Vom kalten Rauch vergilbte Tapeten, angestaubtes Mobiliar im Gelsenkirchener Barock (Bühne: Malte Lübben). Der nächste McDonald‘s an der Autobahnauffahrt. Das prekäre Milieu, in dem man AfD wählt, weil die Perspektiven alles andere als rosig sind. Claudia, die sich nach der Trennung von Frank wieder in der elterlichen Wohnung einquartiert hat, ist auch sicher, dass die Araber und Muslime an allem schuld sind. Sie war noch niemals in New York, findet die Neubauten am Ground Zero aber „absolut beschissen“. Politisch korrekt wird nicht geredet in der Grauzone der vom Leben Abgehängten.
Birte Schrein ist in der Rolle der einstigen Diva einfach großartig. Mit weißblonder Langhaar-Perücke und Leggings zum prolligen Leopardenshirt (Kostüme: Maria Strauch) hockt sie rum und verweigert sich einem Comeback. Manuel Zschunke spielt ihren 25-jährigen Sohn Dennis, der sich in seinem Kinderzimmer die Zeit mit Computerspielen vertreibt. Dass seine Mutter einst ein Star war, ist soweit in Ordnung, ihre alten Lieder kann er mitsingen. Als fulminanter Frank gastiert Klaus Schweizer vom Comedia Theater Köln. Gern würde der alte Herr noch mal seinen grünen Glitzeranzug anziehen, in dem er damals schon aussah wie eine Elvis-Parodie. Möglicherweise ist er sogar Dennis‘ Papa, aber mit den Anbiederungen der Alten hat’s der blasse Nerd-Boy nicht so. Der junge Nostalgie-Messias Danni muss seine schwarze Lederjacke wahrscheinlich erst mal verdienen mit der Ausgrabung von Karteileichen. Alois Reinhardt mimt den gelegentlich ziemlich übergriffigen Marketing-Hai mit verteufelter Eleganz.
Kittsteins Drama nimmt die Figuren in all ihrer komischen Verzweiflung ernst und denunziert sie nicht. Die Inszenierung verzichtet ­glücklicherweise auch auf die üblichen selbstreferentiellen Manierismen. Die vier Schauspieler sind keine Theaterallegorien, sondern echte Menschen, die gruselig ihre Gegenwart verpasst haben. Am Ende räumt Claudia auf und entsorgt lauter leere Schachteln in den Müll. Birte Schrein erscheint in diesem Moment wie eine Trash-Königin, die ihr Reich mutig befreit vom Erinnerungsschrott.
Die mit viel Beifall belohnte Werkstatt-Produktion war sogar der FAZ eine ausführliche Besprechung wert. E.E.-K.

Mittwoch, 16.01.2019

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