Der Sandmann - Euro Theater Central Bonn - kultur 147 - Juni 2018

Der Sandmann
Foto: Euro Theater Central Bonn
Der Sandmann
Foto: Euro Theater Central Bonn

Gespenstisches Nachtstück

E. T. A. Hoffmanns 1816 erschienene Erzählung ist gewiss kein Kindermärchen. Es gibt in dem romantischen Nachtstück kein liebes Sandmännchen, das Kindern süße Träume beschert. Der Sandmann raubt Kindern die Augen, die bekanntlich als Spiegel der Seele gelten. Der Sandmann macht blind für die Wirklichkeit. Der Sandmann verkörpert das Unheimliche im Sinne Sigmund Freuds.
Im Euro Theater Central sind die schwarzen Wände bedeckt mit schwarzen Zeichen, die auch durch raffinierte Lichteffekte unentschlüsselbar bleiben. Die junge Regisseurin Laura Tetzlaff und die Dramaturgin Nina Dahl haben Hoffmanns unendlich oft interpretierten Albtraum-Text neu für die Bühne bearbeitet und die Figuren direkt aus der verdichteten Sprache entwickelt. Aus einem Matratzengebirge (Ausstattung: Martin Scherm) winden sich drei Gestalten in schwarz glänzenden Ganzkörpertrikots mit wechselnden Kostüm-Attributen. Auch wenn sie in Rollen schlüpfen, bleiben sie in narrativer Distanz zum Geschehen. Lucijan Gudelij gibt bei seinem Theaterdebüt den Studenten Nathanael, schwer traumatisiert vom frühen Tod seines Vaters, der vermutlich bei einem alchemistischen Experiment mit seinem Freund Coppelius umkam. Im Wetterglashändler Coppola glaubt er Coppelius wiederzuerkennen und gleichzeitig den bösen Sandmann. Den verkörpert eindrucksvoll der Schauspieler Richard Hucke, der regelmäßig am ETC arbeitet. Er ist Projektionsfigur für Nathanaels Ängste und wirre Fantasien, gleichzeitig auch der geheimnisvolle Spielmacher, der sein Opfer immer tiefer in den Wahnsinn treibt.
Leonie Rennée spielt Nathanaels nüchterne Verlobte Clara, die dessen kranke Seele nicht begreifen kann. Nathanael sieht sie als „lebloses Automat“ und verliebt sich tatsächlich in die mechanische Puppe Olimpia. Manchmal ziehen sich alle drei Darsteller schwarze Kapuzen vors Gesicht und sind dann so realitätsblind wie der auf sich selbst fixierte junge Mann. Sie erscheinen hier ohnehin wie drei Facetten eines süchtig auf möglichen Lebenssinn sich selbst verlierenden Individuums.
Im ETC ist man sehr nah dran an der Mechanik einer Verstörung. Das ist nichts für klaustrophobische Gemüter, bei aller Düsternis mitunter jedoch auch komisch. Es darf also getrost gelacht werden bei der rätselhaften Schauergeschichte. Bei der Premiere gab es langen herzlichen Beifall für die kluge Untersuchung eines scheinbar bekannten Stoffes. E.E.-K.

Spieldauer ca. 75 Minuten, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen: 19. - 22.06.18

Dienstag, 15.01.2019

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