Zur schönen Aussicht - Kammerspiele - kultur 146 - Mai 2018

Zur schönen Aussicht
Foto: Thilo Beu
Zur schönen Aussicht
Foto: Thilo Beu

Schauerliche Komödie

Das Hotel hat seine besseren Aussichten hinter sich. Bühnenbildner Matthias Nebel hat für Horváths frühes Stück Zur schönen Aussicht, verfasst 1926, uraufgeführt erst 1969 in Graz, furchtlos ein naturalistisches Hotelfoyer gebaut. Mit Rezeption, Klingel, Telefon und einem schauerlich geblümten Teppichboden. Regisseur Sebastian Kreyer lässt es sich nicht nehmen, auch selbst auf der Bühne mitzuwirken als Erzähler im Knickerbo­cker-Anzug (Kostüme: Britta Leonhardt), der höchstpersönlich den oberbayerischen Ferienort Murnau erkundet hat, der Vorbild war für den Standort des Hotels.
Sogar Bilder hat der Kinofan Kreyer mitgebracht. Dafür fährt immer mal wieder eine Projektions-Leinwand herunter, auf der auch Videos erscheinen. Ein paar kleine Ausschnitte aus Walt Disneys erstem abendfüllenden Zeichentrickfilm Snow White z. B., den Horváth gerade besucht hatte, bevor er auf den Champs-Élysées von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde. Auch der Komponist Friedrich Hollaender kommt kurz vor.
Eine „Synthese aus Realismus und Ironie“ war Horváths erklärtes Ziel. In den Kammerspielen wird daraus leider ein ziemlich zäher Klamauk. Horváths Figuren in Zur schönen Aussicht sind bitterböse Karikaturen des heruntergekommen Kleinadels, des für den Faschismus anfälligen Kleinbürgertums und windiger Existenzen. Sie maskieren sich mit hohlem bildungsbürgerlichem Pathos und rutschen bei Gefühlsäußerungen ab in sentimentalen Kitsch. Hier wirkt das freilich nicht unheimlich, sondern schlicht albern.
Die Geschichte hat tatsächlich märchenhafte Züge. Christine, bei einer kurzen Sommerfrische von Hotelbesitzer Strasser geschwängert und mit ihrem Kind sitzengelassen, kommt zurück. Nicht als Rächerin, sondern als Liebende. Um Strasser, der ohnehin pleite ist, die Alimente zu ersparen, verbünden sich die Männer: Jeder behauptet, mit ihr intim gewesen zu sein. Doch der liebe Gott hat geholfen. Christine hat eine kleine Erbschaft gemacht und wird plötzlich zum Objekt des Begehrens. Natürlich nicht sie, sondern ihr Geld. Lydia Stäubli spielt die einzig ehrliche Person sehr schön. Aschenputtel verlässt die üble Gesellschaft mit erhobenem Haupt ohne Prinzen.
Der hervorragenden Schauspielerin Sophie Basse in der Rolle der Ada Freifrau von Stetten hat die Maske einen gespenstischen Überbiss verpasst, so dass sie ein bisschen aussieht wie die einstige TV-Ulknudel Helga Feddersen. Ada mit deutlichem Hang zum Alkohol ist nicht nur Dauergast des Etablissements, sondern zahlt auch Dienstleistungen, die weit über das übliche Hotelgewerbe hinausgehen. Kein Mann ist vor ihren Avancen sicher, was angesichts ihres Alters eine gewisse Überwindung verlangt. Ihr Zwillingsbruder Emmanuel Freiherr von Stetten (unverschämt komisch: Daniel Breitfelder) steht auf Männer, hat enorme Spielschulden und für alle Fälle eine Pistole zum suizidalen Abgang. Sören Wunderlich spielt den gertenschlanken Kellner Max, der als Möchtegern-Maler das Bild von der durch einen Stier entführten Europa mit seinem langen Pinsel verschönert, was zudem noch für ein paar peinliche Kalauer sorgt.
Hajo Tuschy gibt in nazischwarzer Lederuniform tänzelnd den Chauffeur Karl, Wolfgang Rüter den nicht ganz astreinen Getränkevertreter Müller, Glenn Goltz den schmierigen Hotelchef Strasser, der gelegentlich eine blonde Perücke über seine Glatze zieht. Alle reden einen breiten Kunstdialekt mit wahlweise österreichischem, bayerischem oder preußischem Zungenschlag. Aktuelle Anspielungen z.B. auf Giftgas in Syrien sind grenzwertig. Nachdem Ada sturzbesoffen eine Konfetti-Kanone gezündet hat, wartet man schon sehnsüchtig auf die Pause. Danach auf das Ende dieses gruseligen Spektakels und Adas vielzitierten Satz: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Den darf sie als Märchenhexe mit rotem Apfel als letzte Waffe sogar wiederholen. Glücklicherweise lässt ­Christine sich nicht für dumm verkaufen.
Horváth ist eigentlich auch ganz anders, kommt hier aber leider nicht dazu. Schade, dass Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp, die hier auch als Produktionsdramaturgin mitwirkte, nicht dafür gesorgt hat, dass diese eitle, oberflächliche Inszenierung sich nicht in lauter Einfällen so verhedderte. Eine Stunde weniger, wäre besser gewesen. Kann sein, dass jüngeres Publikum sogar Spass hat an der makabren Show. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. Pause

Die nächsten Vorstellungen:
6.05. // 18.05. // 27.05. // 30.05. // 16.06.18

Dienstag, 15.01.2019

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