Willkommen - Contra-Kreis-Theater - kultur 146 - Mai 2018

Willkommen
Foto: Contra-Kreis-Theater
Willkommen
Foto: Contra-Kreis-Theater

Perfekte Komödie zur Willkommenskultur

Bis auf Nesthäkchen Anna sind alle in der WG schon ein bisschen über das Studentenalter raus. Nett haben sie’s in der 200-Quadratmeter-Altbauwohnung in bester Bonner Innenstadtlage. Hauptmieterin ist Sophie, ungefähr Mitte 30, deren wohlhabendem Vater das Objekt gehört. Im Contra-Kreis sitzt man nah dran am WG-Küchentisch (Bühne: Tom Grashof, Kostüme: Anja Saafan), wo gerade die Reste des monatlichen gemeinsamen Essens inkl. Lagebesprechung weggeräumt werden. Da wartet Benny mit einer Überraschung auf: Er hat einen einjährigen Lehrauftrag in New York erhalten und kann dort sogar mit seinem Freund zusammenleben. Sein Zimmer würde er für die Zeit gern einer syrischen Flüchtlingsfamilie überlassen. Der Designersessel – „der helle Bezug ist etwas empfindlich“ – kann ja solange in den Keller.
Integration so hautnah? Das erscheint dann doch etwas kompliziert für die diskussionsfreudige Gruppe. Lutz Hübner greift gern aktuelle Themen auf und gehört zu Recht zu den meistgespielten deutschen Bühnenautoren. Seit 2001 arbeitet er regelmäßig mit Sarah Nemitz zusammen. Von dem versierten Duo stammt auch das Stück Frau Müller muss weg, das 2011 mit großem Erfolg im Contra-Kreis lief und 2015 von Sönke Wortmann mit prominenter Besetzung verfilmt wurde. Wortmann führte auch Regie bei der Uraufführung von Willkommen im Februar 2017 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Seitdem wird das Drama an zahlreichen Bühnen gespielt.
Am Contra-Kreis hat es der junge Leon Reichert inszeniert, aufgewachsen in einer Schauspielerfamilie und mittlerweile kurz vor dem Abschluss seines Studiums „Szenische Künste“ an der Universität Hildesheim. Am Contra-Kreis hat er mehrfach als Regieassistent gearbeitet und mit Willkommen nun mit seiner ersten eigenen Regie ein Meisterstück abgeliefert. Es macht einfach Spaß, wie er die Figuren dieses Biotops aus ach so toleranten Bürgersprösslingen auf das „Wir schaffen das“-Glatteis ­schickt. Vor allem vermeidet er mit seinem aufgeweckten jungen Team geschickt die naheliegende Gefahr, daraus eindimensionale Klischee-Typen zu machen.
Drei aus dem Darsteller-Sextett waren schon im Contra-Kreis zu sehen. Patrick Dollmann spielt den eloquenten Benny, der alle gesellschaftspolitischen Theoriediskurse drauf hat. Ist ja auch einfach, wenn man dann mal weg ist und die anderen die Sache ausbaden müssen. Tina Seydel spielt die wenig erfolgreiche Fotokünstlerin Sophie, die vor Bennys Coming Out mal was mit ihm hatte. „Wir sind die Leute, die Türen öffnen können. Wer wenn nicht wir!“, meint sie anfangs begeistert und plant gleich ein tolles Langzeitprojekt. Einiges klingt freilich so, als ob da längere Therapiesitzungen nachwirkten. Die hervorragende Fabienne Hesse ist die ruppige Doro, Mutter einer fast erwachsenen Tochter. Sie nimmt – gelegentlich von Alkohol befeuert – kein Blatt vor den Mund. Von sozialen Experimenten in ihrer eigenen Wohnung hält sie gar nichts, arabische Männer sind ihr ein Gräuel und überhaupt: Sie möchte bitteschön ungestört ihren offenen Lebensstil pflegen und nicht plötzlich auf dem Flur einer vollverschleierten Frau begegnen. Klare Ansage und Totalcrash für den WG-Frieden.
Jens Hartwig ist der nette Jonas, der Ruhe braucht in der Probezeit für den Job als Investment-Banker. Das mit den Geflüchteten ist ja eine echt prima Idee, aber traumatisierte Kinder könnten laut werden. Außerdem hätte er zur Entspannung gern Tischtennispartner. Richtig süß ist Katarina Schmidt als naive Sozialpädagogik-Studentin Anna, die ziemlich verdruckst gesteht, dass sie kurz vor dem Examen schwanger geworden ist. Und das nach einer katholischen Sozialisation in Westfalen! Man ahnt es schon: Der Vater ihres noch ungeborenen Kindes heißt Achmed. Müjdat Yüksel, frisch von der Schauspielschule, gibt in der Rolle sein überzeugendes Debüt am Contra-Kreis. Achmed, als Sohn türkischer Einwanderer im Ruhrpott aufgewachsen, arbeitet in einer Fahrradwerkstatt für Migrantenjungs, die er locker „Kanaken“ nennt. „Meinem Vater hat man nix von Integration erzählt, sondern ihm gesagt, wo bei der Spitzhacke vorn und hinten ist und ihn sofort in die Kohle geschickt.“ Achmed entpuppt sich als grundsympathischer, witziger Typ, der gern Mal ein Bier trinkt. Die Wohnung kriegt er trotzdem nicht. Aber das sollte man sich lieber selbst anschauen. Ebenso wie das heitere Dialog-Pingpong aus geläufigem Betroffenheits-Gerede, verlogenem Gutmenschentum, privaten Beziehungskisten und zynischem Egoismus. Ein intelligenter Beitrag zur Debatte, der bei der Premiere für viele Lacher und kaum zu stoppenden Beifall sorgte. Sehr empfehlenswert für Publikum ab 16 Jahren. E.E.-K.

Spieldauer ca. 80 Minuten, keine Pause
Die weiteren Vorstellungen:
bis 27. Mai täglich außer montags

Dienstag, 15.01.2019

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