Die schmutzigen Hände - Kammerspiele - kultur 145 - April 2018

Die schmutzigen Hände
Foto: Thilo Beu
Die schmutzigen Hände
Foto: Thilo Beu

Ratlos zwischen Idealismus und Ideologie

Der schmale junge Mann steht verlassen auf der großen leeren Bühne. Hugo hat eine zweijährige Haftstrafe verbüßt, weil er den Parteiführer Hoederer erschoss. Offiziell eine Affekthandlung aus Eifersucht. Aus dem Zuschauerraum meldet sich seine Parteifreundin Olga, bei der Hugo Zuflucht sucht. Denn die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Linie der Partei. Hugo gilt nun als Verräter und soll liquidiert werden.
Sartres 1948 uraufgeführtes Drama Die schmutzigen Hände wurde in Westeuropa viel gespielt zur Zeit des Kalten Krieges und war sein kommerziell erfolgreichstes Stück. Mittlerweile taucht der Klassiker des ­Existentialismus wieder häufiger auf deutschen Bühnen auf.
Der Regisseur Marco Štorman lässt in den Kammerspielen Sartres verstaubte Generalabrechnung mit den Strategien des real-­exis­tierenden Nachkriegskommunismus beiseite. Die Genossen tragen rote Socken (Kostüme: Anika Marquardt), was aber eher eine Gruppenzugehörigkeit markiert als eine politische Überzeugung. Der fiktive Balkanstaat Illyrien spielt als Schauplatz keine Rolle. Es geht um die Mechanismen, die einen wie auch immer ausgerichteten Idealismus in eine destruktive Ideologie verwandeln. Der gewaltsame Umsturz des verachteten Systems wird zum alleinigen Ziel. Was danach kommen soll, bleibt abstrakt und diffus. Parallelen zum Terrorismus liegen auf der Hand.
Dazu kreist auf der Bühne von Anika Marquardt und Anna Rudolph unablässig eine große Drehscheibe, auf der die Szenen der Vergangenheit ablaufen. Denn die eigentliche Handlung ist eine Rückblende, erzählt aus der Perspektive Hugos, der zurück möchte in die Gemeinschaft der Partei und Olga (Laura Sundermann) als Lebensretterin gewinnen. Das mal verlangsamte, mal beschleunigte Kreisen um sich selbst prägt Hugos Dasein. Manuel Zschunke spielt überzeugend diesen Studenten aus gutbürgerlicher Familie, der seiner blassen Existenz einen Sinn verleihen wollte und sich in einer radikalen politischen Gruppe selbst verwirklichen. Bereitwillig lässt er die Hosen runter und muss quälend lang splitternackt dastehen, während Hoederers ruppige Sicherheitsmänner Slick (Philipp Basener) und Georges (Benjamin Berger) seine Wohnung durchsuchen und ihn auf seine Tauglichkeit im Chefbüro prüfen. Hugo soll dort als Hoederers Sekretär eingeschleust werden und den mächtigen Parteiführer töten.
Daniel Breitfelder verkörpert den pragmatischen Politiker und Menschenfreund Hoederer im typischen Intellektuellenoutfit mit engem schwarzem Rollkragenpullover. Hoederer erklärt, dass Realpolitik bedeutet, sich die Hände schmutzig zu machen. Er strebt ein Arrangement mit den politischen Gegnern an. Er durchschaut auch die Pläne des radikalen Parteiflügels und scheint zu wissen, mit welcher Aufgabe man Hugo betraut hat. Er bietet sich geradezu an für den tödlichen Schuss. Seine gelassene Selbstsicherheit fasziniert Hugo, der sich verzweifelt selbst beweisen und aus seiner Schreibtischtäter-Existenz raus möchte.
Angestachelt wird er von seiner Frau Jessica, die Maya Haddad als kokett überdrehtes Mädchen spielt. Als starker richtiger Mann soll und möchte Hugo sich darstellen. Tatsächlich geraten die Wortgefechte des Paars zu einem reichlich infantilen Geplänkel. Die Revolution als munteres Kinderspiel ohne ernsthafte Konsequenzen. Aus einem großen roten Stern rieselt glänzender Flitter, der Bühnenhimmel hängt voller Fahnen mit leicht verfremdeten Logos bekannter Firmen von Apple bis Yves Saint Laurent. Der Kapitalismus hat gesiegt, die Energie seiner Feinde braucht neue Träume. In einer merkwürdigen Traumsequenz tanzen alle mit Maschinengewehren bewaffnet ein bizarres Kampfballett: bürgerliche ­Anarchisten im RAF-Look oder terroristische Amokläufer.
Der Schuss auf Hoederer folgt eher beiläufig, als er die kleine Verführerin Jessica umarmt. War das kalkuliert, um den unentschlossenen Hugo endlich zur Tat zu zwingen? Am Ende steht er wieder so allein da wie am Anfang: „Nicht verwendungsfähig“. Kein blutiges Finale, niemand mehr da. Im Weggehen hat sich Hoederer das Rot vom Pistoleneinsatz weggewischt wie einen lästigen Fleck. Das Spiel ist aus. Die neuen Ideologen finden immer wieder junge Idealisten, die sie benutzen können für ihre mörderischen Zwecke. Selbstverwirklicher, die sich von der Gesellschaft nicht akzeptiert fühlen und als Attentäter ihr Heil suchen.
Die Inszenierung spielt ironisch mit Illusionen, bleibt aber der bitteren Dialektik des Sartre-Dramas einiges schuldig. Trotzdem eine interessante Vorstellung. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1¾ Stunden, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
22.04. // 28.04. // 4.05. // 19.05.18

Donnerstag, 06.12.2018

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