Der Nussknacker - Tanzgastspiel aus Dortmund in der Oper - kultur 143, Februar 2018

Kunterbunter Märchen-Comic

Eine Entschuldigung vorweg: Die Live-Mitwirkung des Orchesters war nicht vorgesehen bei den vier Vorstellungen, mit denen die Gäste aus Dortmund um Weihnachten das Bonner Publikum erfreuten. Da ist uns eine Fehlinformation unterlaufen. Dafür gab es aber richtig viel zu sehen.
Auf Skiern kommen einige Gäste herangefahren zur munteren Weihnachtsparty im kunterbunten Häuschen, wo sich die Familie der kleinen Clara versammelt hat. In satten, klaren Farben leuchten die riesigen Geschenke-Kisten vor dem stilisierten grasgrünen Tannenbäumchen. Das Bühnenbild des Malers und Kinderbuchillustrators Paul Cox, der auch die witzigen Kostüme entworfen hat, ist ein echter Hingucker in der spielerisch heiteren Inszenierung des französischen Starchoreografen Benjamin Millepied. Weltbekannt wurde der ehemalige Solist am New York City Ballet, wo er u.a. in Kreationen von George Balanchine tanzte, durch den Film Black Swan an der Seite von Natalie Portman, mit der er seit 2012 verheiratet ist. Von 2014 bis 2016 war er Direktor des Balletts der Pariser Oper.
Seine Version von Tschaikowskys Nussknacker, 2005 entwickelt für die Genfer Oper und 2015 erstmals in Deutschland aufgeführt vom Ballett Dortmund, erzählt die von E.T.A. Hoffmann inspirierte Geschichte schnörkellos modern als eine Art Märchen-Comic. Der Nussknacker, den Onkel Drosselmeier seiner Nichte Clara schenkt, trägt einen grünen Kermit-Kopf, was gleich ein anderes Märchen evoziert, in dem der Frosch zum schönen Prinzen mutiert. Kein glitzerndes Lametta also, keine klassischen weißen Tutus und selten Spitzenschuhe bei dieser „Nuss­knacker“-Lesart, die das beliebte Weihnachts-Ballett mit vielen pfiffigen Ideen für das Publikum des 21. Jahrhunderts aufbereitet.
Der skurrile Drosselmeier mit grauem Riesenzylinder zaubert mit seiner Schreibfeder am Tablet lustige Kinderzeichnungen auf den Vorhang. Er lässt Puppen lebendig werden, Mäuse tanzen (aufgedreht mit einem Schlüssel am Rücken) und gegen eine Armee von Zinnsoldaten antreten, bis der fette Mäusekönig im roten Samtgewand kapituliert. Besiegt von Drosselmeiers schüchternem Neffen, der sich mit Froschmaske, grünen Stiefeln und weißrotem Militärkostüm als Mini-Superheld erweist.
Die erwachsene Festgesellschaft hat derweil Spaß – neben allerhand Tanzvergnügen gibt’s sogar eine kesse Stepp-Einlage. Sehr komisch mischen die Großeltern mit, bis alle sich müde verabschieden und Claras Eltern zu Bett gehen. Offenbar sind die beiden sehr verliebt, weshalb Millepied ihnen zuvor noch einen erotisch aufgeladenen Pas de deux gönnt. Dann dürfen die pubertierenden Kinder (hier verkörpert von zwei jungen Nachwuchstalenten) endlich träumen. Bezaubernd ist der Schnee­flockenwalzer, bei dem die Tänzerinnen und Tänzer in langen weißen Röcken wie zarte Luftgeschöpfe herumwirbeln, um die kleinen Träumer ins Reich der Zuckerfee zu entführen. Die dreht ihre Pirouetten im rosa Tellerröckchen wie eine Spieluhr-Ballerina tatsächlich auf der Spitze zum himmlischen Celesta-Glöckchenklang, den der Komponist für sein letztes Tanzstück forderte.
Nach der Pause steht das Familien-Puppenhaus auf dem Kopf. Neben Pyramiden von Süßigkeiten hocken die beiden Kinder auf der Dachkante und erforschen an einem Riesenglobus die Länder, aus denen die Fee ihnen tänzerische Grüße schickt. Das ist ein hübscher Kunstgriff, denn dramatisch passiert im zweiten Akt wenig. Es ist eine brillante Show mit temperamentvollen Spaniern, gelenkigen Mädchen aus Arabien, sprungstarken Chinesen, robusten Russen und koketten Griechen. Beim Blumenwalzer flirten die Gärtner mit den Blütengirls, die ihre Pflanztöpfe als Hüte nutzen. Die männliche Lebkuchenmutter trägt zum widerspenstigen Rokoko-Reifrock viel Busen und Vollbart, was an Conchita Wurst erinnert und für erheiterten Extra-Applaus sorgt. Natürlich darf der romantische Pas de deux der Prinzessin mit dem Prinzen nicht fehlen. Die klassischen Ballettfiguren werden mit liebevoller Ironie zitiert, bis die Kinder selig erwachen aus ihren naiven Fantasien, die hier das beängstigend Groteske des Märchens aussparen zugunsten eines originellen Spiels mit Konventionen. Das große Dortmunder Ensemble überzeugte bei seinem Bonner Gastspiel mit tänzerischer Eleganz und köstlichem Humor. E.E.-K.

Donnerstag, 02.08.2018

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