Lydia Stäubli - kultur 142 - Januar 2018

Lydia Stäubli
Foto: Thilo Beu
Lydia Stäubli
Foto: Thilo Beu

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Lydia Stäubli - Gerda in Lübeck, Graham in Chicago und diverse Frauen in Unterleuten

Neben ihrem Schweizer Pass besitzt sie auch einen russischen. Denn ihre Mutter stammte aus Usbekistan und wuchs in der Nähe von Moskau auf. Lydia Stäubli, seit 2013 fest am Bonner Schauspiel engagiert, wurde 1976 in Zürich geboren. Die Sommerferien verbrachte sie regelmäßig bei ihren russischen Großeltern und beherrscht die Sprache immer noch völlig akzentfrei. Natürlich kann sie auch Schweizerdeutsch und spricht gut Englisch, Französisch und Spanisch.
Schauspiel war nicht von Anfang an ihre Präferenz. „Meine Mutter interessierte sich zwar sehr fürs Theater, konnte sich aber überhaupt nicht vorstellen, selbst auf der Bühne zu stehen“, erzählt sie bei unserem Treffen in einem kleinen Bad Godesberger Café. „Ich selbst musste meine Schüchternheit auch überwinden. Als Kind machte ich viel Ballett und genoss es dann sogar, über den Tanz Bühnenerfahrungen zu sammeln und allmählich die Scheu davor aufzugeben, fremde Figuren zu verkörpern. Klassisches Schultheater interessierte mich weniger. Ballett gefiel mir – aber nicht so, dass ich es zum Beruf machen wollte. Auf jeden Fall wollte ich nach der Schule eine Zeitlang raus aus der Schweizer Enge. Am Mozarteum in Salzburg bewarb ich mich vor allem, weil das Studium dort relativ viel Entwicklungs-Freiraum bietet.“
2000 schloss sie dort ihr Schauspielstudium mit einem Diplom ab und bekam ihr erstes Engagement am Theater Chemnitz. Ihre erste große Rolle dort war das polnische Dienstmädchen Piperkarcka in Hauptmanns Ratten, wobei sie gleich ihre osteuropäische Sprachkompetenz einsetzen konnte. Inszeniert wurde der Bühnenklassiker übrigens von Gabriele Gysi, die seit vielen Jahren auch Regie führt am Bonner Euro Theater Central. Ausgerechnet bei Romeo und Julia lernte Lydia Stäubli ihren Lebenspartner Sören Wunderlich kennen, der damals noch in Leipzig studierte. Sie spielte die Julia, er die kleine Rolle des Apothekers.
2003 zog sie mit Wunderlich ans Landestheater Tübingen. „Das war nicht so weit weg von meiner Heimatstadt wie Chemnitz und mit seinem studentischen Publikum sehr anregend.“ Zusammen mit Wunderlich spielte sie dort Falk Richters Dialog Gott ist ein DJ und lernte den Regisseur Martin Nimz kennen, mit dem sie in Bonn wieder mehrfach zusammenarbeitete. Die Nacht des Leguan von Tennessee Williams, in der sie Maxine, eine verwitwete Hotelbesitzerin verkörperte, wurde jedoch nach wenigen Vorstellungen abgesetzt, weil der Verlag Einwände gegen die Interpretation hatte. Stäubli spielte in Tübingen u.a. die Luise in Kabale und Liebe sowie die Titelrolle in Minna von Barnhelm und arbeitete dann als freie Schauspielerin. 2007 gastierte sie an den Hamburger Kammerspielen in Onkel Wanja. „Eine schöne Produktion, aber der En-Suite-Betrieb ist anstrengend. Ich habe einen Riesenrespekt vor den Kollegen, die wochenlang fast täglich ganz frisch dieselbe Rolle verkörpern.“
Ab 2008 arbeitete sie am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo Wunderlich bereits seit 2005 fest engagiert war. In der Hansestadt kamen auch die beiden mittlerweile 11 und 6 Jahre alten Söhne des Paares zur Welt.
Hier spielte sie 2009 mit bei der Uraufführung von Oliver Bukowskis Arbeitslosenstück Kritische Masse. Die Inszenierung von Sebastian Nübling wurde zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Weil Stäubli unbedingt einmal mit René Pollesch arbeiten wollte, meldete sie sich für den Chor in der Uraufführung von Mädchen in Uniform mit der von ihr sehr bewunderten Schauspielerin Sophie Rois in der Hauptrolle.
Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp holte Stäubli und Wunderlich dann in ihr neues Bonner Ensemble. Hier standen die beiden 2014 gemeinsam auf der Bühne in Ibsens Wildente, inszeniert von Martin Nimz. Wunderlich spielte den erfolglosen Erfinder Hjalmar Ekdal, Stäubli seine tapfere Gattin Gina. 2015 geisterte sie als tote Linda stumm durch Das Fest, 2016 verkörperte sie die Olga in Tschechows Drei Schwestern, beides wieder in der Regie von Martin Nimz. Sehr gefallen hat ihr die Arbeit mit Patrick Wengenroth bei der Deutschland-Revue Chronik eines torkelnden Planeten in der Werkstatt. „Wir Schauspieler waren intensiv an der Arbeit beteiligt und haben uns viele Texte selbst ausgesucht. Ich habe dabei vieles neu wahrgenommen, was mir als in Österreich ausgebildeter Schweizerin gar nicht so bewusst war.“ Höchst anregend fand sie auch die Zusammenarbeit mit dem irischen Regisseur Gavin Quinn. In der Halle Beuel spielte sie das Beta-Girl Lenina in der beliebten Produktion Schöne neue Welt und in den Kammerspielen die Miranda in Shakespeares Sturm, dessen Konzept leider nicht so ganz aufging.
In der laufenden Spielzeit ist Lydia Stäubli weiterhin zu erleben als die sensible Amsterdamerin Gerda, die Konsul Thomas Buddenbrook sich zur Gattin erwählt und die in der Lübecker Gesellschaft stets eine Fremde bleibt. Die Buddenbrooks, als Tanz in den Untergang inszeniert von Sandra Strunz, kam sehr erfolgreich im Herbst 2016 heraus. Ihre erste Männerrolle spielt Stäubli als Fleischfabrikant Graham in Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe, der verzweifelt im Netz der Chicagoer Spekulanten zappelt.
Gleich mehrere Figuren verkörpert sie in Juli Zehs Unterleuten (s. Kritik in dieser kultur S. 4-5). Sie ist die alte, leicht verwirrte Hilde Kessler, die junge Ärztin Kathrin Kron und die ­Abiturientin Miriam Schaller. Also Frauen aus drei Generationen, die familiär in dem brandenburgischen Dorf verwurzelt sind. „Wir wechseln sehr schnell von einer Rolle zur anderen und spielen beim Umziehen gleich weiter. Für kleinteilige psychologische Entwicklungen bleibt da wenig Raum. Ich musste mich erst daran gewöhnen, die Figuren direkt zu vergrößern und nicht so sehr von innen nach außen zu arbeiten.“
Lydia Stäubli hat einen Vertrag über drei neue Stücke pro Saison, ist also nicht ganz so eingespannt wie ihr Mann. Wie die meisten ihrer Kollegen ist sie auch regelmäßig in TV-Produktionen tätig. „Manchmal wird trotzdem das Theater zu einem zweiten Zuhause. Glücklicherweise haben wir eine tolle Kinderfrau, und auch vom Ensemble gibt es Unterstützung, wenn es mit der Zeiteinteilung knapp wird. Mehrere Kollegen wohnen wie wir in Bad Godesberg. Schön ist, dass ich nachmittags oft frei habe und fast alle Wege mit dem Fahrrad erledigen kann. In Bonn gibt es ein großartiges Kulturangebot für Familien. Wir gehen gern ins Junge Theater, in die Kinderkonzerte und die Museen. Die ständigen Hiobsbotschaften ziehen jedoch viel Energie aus dem Ensemble. Die dauernde Spielstätten-Diskussion verunsichert alle.“
Wie Wunderlich bleibt sie auch nach dem Leitungswechsel 2018 fest am Schauspiel engagiert. Was sie gern irgendwann mal spielen möchte, wäre Ibsens Hedda Gabler. Aber zunächst beginnen die Proben für die Uraufführung von Supergutman (Premiere in der Werkstatt am 27. Januar). Helden betrachtet sie eher skeptisch, ist jedoch gespannt auf jede neue Sichtweise.

Dienstag, 13.02.2018

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