Die Physiker - Kammerspiele - kultur 141 - Dezember 2017

Die Physiker
Foto: Thilo Beu
Die Physiker
Foto: Thilo Beu

Badespaß im Irrenhaus

Der Regisseur Simon Solberg mag Wasser auf der Bühne. Im Gegensatz zu seinem Woyzeck 2016 in der Halle Beuel muss man bei seinen Physikern in den Kammerspielen zumindest keine Spritzer in den ersten Reihen befürchten. Nur ein Feuerwerk an bizarren Einfällen und Bildeffekten. Im Hintergrund des von Solberg und Franziska Harm gestalteten Raumes wechseln Projektionen von Bergpanoramen mit Kriegsszenen, auf einer seitlich platzierten runden Scheibe verwandelt sich ein Buddha in Helmut Kohl und Donald Trump. Denn Dürrenmatts Tragikomödie ist ja verdammt aktuell angesichts der destruktiven Energie, mit der die Menschen die Zerstörung ihres Lebensraums betreiben.
Die 1962 uraufgeführten Physiker entstanden vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der Bedrohung unseres Globus durch nukleare Aufrüstung. Der Physiker Möbius hat eine Formel entwickelt, deren Auswertung die ganze Welt vernichten könnte. Deshalb hat er sich unter dem Vorwand, geisteskrank zu sein, in eine psychiatrische Privatklinik in den Schweizer Bergen begeben. Statt Nobelpreis also Rück­zug ins Irrenhaus. Leider sind ihm zwei Agenten verfeindeter Mächte auf der Spur: Beutler, der sich angeblich für Newton hält und Ernesti, der wie Einstein gern Geige spielt. Zur Beruhigung schickt Klinikchefin Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd ihre Patienten gern in den Pool, wo sie munter herumplantschen, wenn sie nicht gerade ihre Krankenschwestern ermorden.
Kriminalinspektor Voss (Manuel Zschunke als Colombo-Double) wird irgendwann verzweifelt kapitulieren vor der Aufgabe, die Verrückten polizeilich zu belangen. Sören Wunderlich gibt den Moralisten Möbius mit der durchtrainierten Statur eines Marathonläufers. Selbst in klatschnasser Unterhose bewahrt er noch etwas von der Würde des Wissenschaftlers, der die Welt vor seinen Forschungsergebnissen bewahren will. Johanna Falckner als Oberschwester Monika und später als Möbius‘ Exgattin Frau Rose bringt kurz emotionale Bewegung ins Spiel. Glenn Goltz tänzelt wie irre als Beutler/Newton herum, kriecht halbnackt in ein Terrarium und spielt bravourös das scheinbar naive Riesenbaby. Holger Kraft als Ernesti/Einstein geht buchstäblich an die Decke und erscheint mal als Verkörperung von Man Rays Violon d’Ingres. Das ist alles recht ­lus­­tig, trägt jedoch zu weiteren Einsichten wenig bei.
Die strenge Ärztin beobachtet ihre armen Irren zumeist vom Bühnenrand aus und kommandiert sie mitunter per Gong zur Kunst-, Bewegungs- oder sonstiger Therapie. Ihren großen Auftritt hat Sophie Basse erst am Ende im schillernden Helene-Fischer-Outfit. Wirklich wahnsinnig ist die Psychiaterin, die längst Möbius‘ Forschungsergebnisse kopiert hat und sie mit ihrem Konzern vermarktet.
Das ist die zynische Pointe des Dramas: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ Alles andere ist eine Illusion. Die drei Physiker werden also wohl ‚freiwillig‘ in ihrer Heilanstalt bleiben müssen. Ab und zu rollt im Hintergrund eine Pflegerin eine Riesentablette herum. Trägt leider auch nicht viel bei zur Rettung der bitterbösen Groteske, deren Aussage in dieser oberflächlichen Inszenierung ziemlich verwässert wird.
Streckenweise ganz amüsant, in einigen Momenten sogar so, dass die schlimmstmögliche Wendung der Geschichte erkennbar wird. Schulklassen sollten den Klassiker des 20 Jahrhunderts möglichst lesen, bevor sie sich die Aufführung zumuten. E.E.-K.

Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
2.12. // 8.12. // 26.12. // 28.12.17 // 10.01.* // 13.01.*// 28.01.18
*schon ausverkauft

Dienstag, 16.01.2018

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