Bangarra Dance Theatre / Ballet du Grand Théâtre de Genève / Scapino Ballet Rotterdam - Gastspiele in der Oper Bonn - kultur 141 - Dezember 2017

Drei Tanz-Gastspiele in der Oper

Spirit
Bangarra Dance Theatre
Am Anfang steht eine Art Totenklage. Eine Frau scheint einen am Boden liegenden Mann zu neuem Leben erwecken zu wollen. Dazu erklingt fremdartig rauer Gesang wie aus einer archaischen Welt. In seiner Produktion Spirit, die im Oktober im restlos ausverkauften Bonner Opernhaus zu erleben war, beschwört das Bangarra Dance Theatre den Geist Australiens und die Spiritualität seiner Ureinwohner. Die neunzehn Tänzerinnen und Tänzer des 1989 gegründeten Ensembles haben ebenso wie der Choreograf und künstlerische Leiter Stephen Page ihre Wurzeln in der viele Jahrtausende alten Kultur der Aborigines. Mittlerweile gilt die Truppe, die zum ersten Mal in der Reihe „Highlights des internationalen Tanzes“ zu Gast war, als Botschafter ihres Kontinents in aller Welt.
Sie beherrschen verschiedenste tänzerische Ausdrucksformen, mischen Modern Dance mit klassischen Ballettfiguren, rituelle Körpersprache mit Breakdance-Elementen und akrobatische Energie mit der Magie bodenständiger Traditionen. Im kurzen ersten Teil ihrer Performance erzählen sie von der brutalen Kolonialisierung Australiens. Freie Menschen werden plötzlich in bizarre Uniformen gezwängt und bei Verhandlungen mit den Eroberern buchstäblich über den Tisch gezogen. Ihr Lebensraum wird zerstört, ihre angestammte Verbindung zwischen Natur und Geist gewaltsam zerschnitten.
„Traumzeit“ ist das Schlüsselwort für den zweiten Teil, der die Emanzipation der Aborigines in suggestiven Bildern und Szenen zum opulenten Surround-Klang mit Pop-Lärm und komplexen traditionellen Rhythmen illustriert. Die Traumzeit hat mit Schlaf nichts zu tun, sondern mit der unendlich lebendigen raumzeitlichen Gegenwart der heiligen Schöpfung. In der eindrucksvollen Revue wirbeln Männer- und Frauengruppen mit Blätterbüscheln den Staub von den Wegen auf, die zu den alten Zeremonienplätzen führen. Die australischen Aborigines kamen ohne schicksalsbestimmende Götter aus und begriffen Pflanzen, Tiere und Steine als Anwesenheit einer zyklischen Ordnung. So hyperreal wie das helle Schlussbild vor einer mächtigen Basaltwand. Geologischer Schmelzstoff für eine inspirierte Verschmelzung von interkulturellem Denkmaterial und tänzerischer Intelligenz. Großer Jubel für die Australier, die erstmals in Bonn gastierten.

Tristan und Isolde
Ballet du Grand Théâtre de Genève
Männlicher Spott und Angriffe gegen Isoldes Begleiterinnen bestimmen die schlaglichtartig beleuchteten ersten Szenen der tragischen Liebesgeschichte. Zutiefst gedemütigt fühlt sich die stolze irische Königstochter, nachdem sie begriffen hat, dass Tristan sie als Brautwerber für seinen Onkel Marke nach Cornwall bringen soll. Die Choreografin Joëlle Bouvier wirft einen sehr weiblichen Blick auf das dramatische Geschehen. Im Zentrum agiert die ungemein ausdrucksstarke Madeleine Wong, die in der auf sie hereinstürzenden emotionalen Flut nach Halt sucht. Farbige Tücher markieren die Wellen, in denen sie zu ertrinken droht, nachdem der Sühnetrank versehentlich zum Liebestrank wurde und sie für immer an Tristan fesselt.
Bouvier erfindet dafür ebenso eindringliche wie überzeugende Bilder. Isolde schlingt sich ein vom Schnürboden schwebendes Seil um die ­Taille, während Tristan sich das andere Ende umbindet und die Geliebte durch die Luft fliegen lässt. Eine bewegliche Wendeltreppenkonstruktion dient als Schiffsmastkorb und als Turm in Markes Garten. Alles wird zum schwankenden Gelände für das unmögliche Glück. Aus den Brettern, die ihre Welt an Markes Hof versperren, werden von Tänzern getragene Stege, auf denen sie gefährlich balanciert, zum Boden zurückkehrt und erneut den Ausweg in die Luft versucht. Wie ein zu Tode gehetztes Tier wird Tristan schließlich zur letzten Begegnung mit der Geliebten getragen. Doch nichts mehr kann die Sehnsuchtswunden heilen. Mit entblößter Brust empfängt der sterbende Tristan Isoldes Kuss, bevor sie an seiner Leiche verklärt ins Jenseits entschwindet. Aufrecht stehen bleibt am Ende nur Brangäne, in der Inszenierung „Zeugin“ genannt.
Das barfuß tanzende große Ensemble verzichtet auf kunstfertige Ballettfiguren zugunsten von hochgespannter emotionaler Intensität. Die treibende Kraft ist Wagners Musik mit Auszügen aus der Oper und seinen Wesendonck-Liedern. „Grüß mir die Welt“ lautet der Untertitel des Tanzdramas. Mit diesen Worten begann im ersten Aufzug der Oper Isoldes langer Abschied vom Leben in eine Sphäre reiner Leidenschaft.
Das Publikum brauchte nach der 90-minütigen, zutiefst bewegenden Aufführung ein paar Sekunden, bevor seine Konzentration in einen Beifallssturm mündete.

While We Can / Prince / Le Chat Noir
Scapino Ballet Rotterdam
Für ausgelassene Stimmung sorgte eine Woche später in der erneut ausverkauften Oper das zum ersten Mal in Bonn gastierende Scapino Ballet. Le Chat noir zeigte den besonderen theatralen Stil des Choreografen Ed Wubbe, der die Company seit 25 Jahren künstlerisch leitet. Er beschwört die Atmosphäre des legendären Varietés, das Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebter Treffpunkt der Pariser Künstler-Bohème war. Zu Chansons von Edith Piaf und Jacques Brel entwickeln sich viele kleine Dramen, die von unerfüllten Träumen, sehnsüchtiger Melancholie und der Einsamkeit im Trubel der Nachtschwärmer handeln. Natürlich durfte auch Offenbachs unverwüstlicher Cancan nicht fehlen, hier jedoch überraschend neu interpretiert.
Vor dem fulminanten Finale präsentierte die Truppe noch zwei kürzere Werke. Der junge französische Choreograf Martin Harriague führte in seinem Stück Prince zu Tschaikowskys Dornröschen-Musik sehr witzig die Märchenträume vom schönen, heldenhaften Prinzen ad absurdum, der die schlafende Schöne wachküssen soll.
Nicht mehr zum Nachwuchs gehört Felix Landerer, seit mehreren Jahren Hauschoreograf bei Scapino. Sein 20-minütiges While We Can stand am Anfang des Abends. In silbrig schillernden Kostümen verfolgen die Tänzerinnen und Tänzer wie Maschinen ihre Wege. Urbane Nomaden in einer merkwürdig kühlen Welt, in der es kaum noch echte Begegnungen gibt. Ein ziemlich strenger Blick auf die postmoderne Gesellschaft, gefolgt von einem heiter parodistischen Intermezzo und dem verzweifelten Rausch im frech frivolen Montmartre-Milieu. Nach zwei Stunden Klatsch­marsch im Rhythmus des Operetten-Gassenhauers. E.E.-K.

Dienstag, 16.01.2018

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