Jürgen Becker - kultur 140 - November 2017

Eine Unterrichtsstunde der besonderen Art
: Jürgen Becker in der Reihe „Quatsch keine Oper“ im Opernhaus

von Thomas Kölsch

Ohne Sex wäre die Welt einfacher. Und deutlich langweiliger. Wer will schon eine Blattlaus sein, die zwar mühelos ganz Deutschland neu bevölkern könnte, dafür aber auf einen Partner verzichtet? Oder eine Birke, die nicht mal eben in der Kneipe jemanden abschleppen kann und daher auf gut Glück ihren Samen in die Luft entlässt? Dann doch lieber Mensch sein, selbst wenn das bedeutet, dass man beim Thema Fortpflanzung ständig zwischen der Offenheit der Kunst und der Verklemmtheit der Religion gefangen ist. Zum Glück gibt es dafür Jürgen Becker: Der Kölner Kabarettist, dank der Sendung „Mitternachtsspitzen“ bundesweit bekannt, nimmt sich in seinem aktuellen Programm Volksbegehren dieser besonderen Trias an und vermittelt dem Publikum in einer unterhaltsamen kulturhistorischen Tour de ­Force ein paar interessante Einblicke.
„Geschlechtliche Fortpflanzung ist ja schon ganz schön kompliziert“, erklärt er im Interview. Schon allein wegen der Partnersuche. „Deshalb muss das Verfahren Spaß machen, damit es funktioniert. Tut es ja auch – einer Studie zufolge denken Männer 60 Prozent des Tages an Sex. Aber gleichzeitig muss der Geist sich auf andere Dinge fokussieren können. Und da kommen die Kultur und die Religion ins Spiel.“ Die Kunst als Akt des Werbens um das andere Geschlecht und der Kult, der es beschränkt. Und zwar mitunter massiv. „Diese Lust-Feindlichkeit in der christlichen Kirche geht auf den heiligen Augustinus zurück“, weiß Becker. „Dessen Helikopter-Mutter hat ihn dazu gebracht, Frau und Kind zu verlassen. Daraufhin hat er sich gedacht, wenn er keinen Spaß mehr haben darf, dann andere auch nicht. Er hat zwar nicht den Sex verboten, aber gefordert, dass dieser ohne Lust vollzogen werden solle.“
Doch auch andere einflussreiche Denker haben vor der Fleischeslust gewarnt. Platon etwa rief dazu auf, den erotischen Drang auf immer umfassendere Objekte zu richten, um so zum Schönen an sich zu gelangen – ein Ansatz, den übrigens auch Augustinus aufgriff. „Letztlich haben die Christen den Sex verteufelt“, sagt Becker. „Und dadurch wurde er erst so richtig interessant.“ Nicht zuletzt für die Kunst, die sich immer wieder mit dem Thema beschäftigte. Die wiederum gehört seit seiner Ausbildung als grafischer Zeichner bei 4711 zu Beckers Steckenpferden. Immer wieder hat er in der Vergangenheit Gemälde mit auf die Bühne gebracht, hat sogar sein gesamtes vorhergehendes Programm Der Künstler ist anwesend dieser Leidenschaft gewidmet. Schon da spielte die Sexualität in Malerei und Bildhauerei eine entscheidende Rolle, nun erweitert er konsequent den Diskurs und schafft die Synthese mit den Inhalten aus „Ja, was glauben sie denn?“. Was treibt ihn dazu? „Ich frage mich zunächst immer, was mich selbst interessiert“, gesteht Becker. „Danach überlege ich, ob das Publikum daran Spaß haben könnte. Und dann fange ich an, intensiv zu recherchieren.“ Immerhin soll ja alles Hand und Fuß haben, auch wenn Becker mitunter die Zusammenhänge ziemlich vereinfachen muss. „Auf der einen Seite freut es mich natürlich, wenn das Publikum sich extra für mich Zeit nimmt und dann auch noch etwas lernen möchte, aber in erster Linie kommt es ja zum Lachen“, erklärt er. „So lange es das kann, nimmt es auch Wissen auf. Daher muss die Pointendichte recht hoch sein. Ein normaler Lehrer könnte das überhaupt nicht leisten, schon alleine deshalb, weil er jede Stunde etwas Neues aus dem Hut zaubern muss. Ich habe dagegen den Vorteil, dass ich immer über das selbe Thema spreche und meine Unterrichtsstunde immer weiter verfeinern kann. Insofern bin ich eine Art Tournee-Lehrer.“ Und das mit Leidenschaft. „Ich selbst war in der Schule immer unzufrieden. Jetzt möchte ich Unterricht machen, so wie ich ihn gut gefunden hätte.“

Damit hat Becker seit nunmehr 26 Jahren als Solo-Kabarettist großen Erfolg (davor war er einer der Gründer der Kölner Stunksitzung und Mitglied des Kabarett-Trios „3 Gestirn Köln 1“). Alle seine Programme haben einen didaktischen Grundton, ob er sich nun mit der Kölner Stadtgeschichte, dem Rheinischen Kapitalismus oder eben der von ihm geliebten Kunst auseinandersetzt. Und immer geht das Publikum am Ende mit einem Lächeln auf den Lippen und einigen neuen Informationen nach Hause. Das ist eine Art von Kabarett, die Schule machen sollte.

Dienstag, 16.01.2018

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