Die Flaneure/Athen (fringe ensemble) - Theater im Ballsaal - kultur 140 - November 2017

Die Flaneure/Athen - Justine Hauer
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de
Die Flaneure/Athen - Justine Hauer
Foto: Lilian Szokody/www.szokody.de

Entschleunigte Stadterkundung


Der Flaneur taucht erstmals in der Großstadtliteratur des 19. Jahrhunderts auf. Mittlerweile gibt es überall kommerzialisierte Flaniermeilen. Der Flaneur ist ein Einzelgänger, der ziellos durch die Stadt streift, Eindrücke sammelt und frei verknüpft. Der Flaneur betrachtet die Stadt als Bühne und entziffert sie ohne vorgegebene Regeln. Er wird – wie es im Programmzettel zur Uraufführung von Die Flaneure /Athen heißt – „als eigentlich aus der Zeit gefallene Figur gerade dadurch in unserer kreuz und quer verlinkten Welt wieder zeitgemäß.“
Im Auftrag des Bonner fringe ensembles sind die Bühnenbildnerin Annika Ley, der Musiker Gregor Schwellenbach und der Schauspieler Oleg Zhukov – jeweils einzeln – in die griechische Hauptstadt gereist. Ganz bewusst zum Ursprungsort der Demokratie und des Theaters. Ohne touristisches Pflichtprogramm. Keiner kannte den Ort oder beherrschte die Sprache. In der Regie von Frank Heuel ist aus ihren Aufzeichnungen und Fundstücken eine Inszenierung entstanden, bei der das Publikum im Theater im Ballsaal selbst eindreiviertel Stunden lang zum Flaneur wird.
Mit Lichterketten bestückte weiße Stoffbahnen markieren ein Gassen-Labyrinth, durch das man mit selbst gewähltem Tempo schlendern darf. Es gibt Bänke zum Verweilen, von denen aus man das Geschehen beobachten oder einfach nur zuhören kann. Wobei letzteres schon ein Erlebnis für sich ist. Schwellenbach hat eine vielfarbige Soundkulisse geschaffen, in der sich fremde Gesprächsfetzen, populäre Tanzmusik und Alltagsgeräusche zu einem Hörbild vermischen. Auf einem Platz im Zentrum steht auf einem hohen Sockel eine kleine Athene-Statue, wie man sie massenhaft in Andenkenläden findet. In bestem Touristen-Englisch erklärt die Schauspielerin Justine Hauer dem Besucher die Bedeutung des Kunstwerks.
Es gibt viele kleine Dialoge über Krisen, wirtschaftliche Probleme und den Kampf ums Überleben angesichts von Arbeitslosigkeit und Lohndumping. Es gibt im Hinterhof sogar ein kleines Kinozelt, in dem Oleg Zhukov von seiner Begegnung mit Odysseus im Flugzeug erzählt. Die fabelhaften Schauspieler David Fischer, Manuel Klein und Andreas Meidinger posieren manchmal wie antike Statuen und laden immer wieder zur Beobachtung von Miniszenen ein.
Das alles ist häufig komisch und bewusst oberflächlich. So wie unsere fragmentarische Wahrnehmung beim Flanieren, wo bei der Betrachtung von Fassaden und Passanten, Gesichtern und Augenblicken eine theatrale „Stadtlektüre“ entsteht. Eine Flanierreise des fringe ensembles nach London ist bereits geplant.
Interkulturell geht es im Ballsaal weiter. Am ­2. November präsentiert sich unter dem Titel Here and Now ein neuer Bonner Bürgerchor mit Menschen aus zehn verschiedenen Ländern. Es ist ein vielsprachiges Klangexperiment und hat mit dem „Bonnopoly“-Chor in den Kammerspielen nur wenig gemein.
Vom 9. bis 11. November sind Istanbul Friends zu Gast im Ballsaal, also türkische Theatermacher/innen, mit denen fringe-Chef Heuel bei seiner Residenz in Istanbul neue Performances erarbeitet hat.
Vom 16. bis 18. November folgen drei choreografische Arbeiten im Rahmen des näher verorteten Theaternetzwerks Rheinland West Off 2017. E.E.-K.
Weitere Infos unter www.theater-im-ballsaal.de

Freitag, 12.01.2018

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