Die Präsidentinnen - Werkstatt - kultur 140 - November 2017

Die Präsidentinnen (Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Birte Schrein)
Foto: Thilo Beu
Die Präsidentinnen (Lena Geyer, Ursula Grossenbacher, Birte Schrein)
Foto: Thilo Beu

Traum-Trio


Die heilige Muttergottes hat einen Ehrenplatz in Ernas schäbiger Wohnküche (Ausstattung: Gabriele Neubauer), wo ihre neue Errungenschaft zu feiern ist, ein gebrauchter Fernseher. Mit ihrer Freundin Grete und der jungen Klofrau Mariedl ‚präsidiert‘ sie. Ein infernalisches Trio – gottesfürchtig, bösartig verkrallt in die gescheiterten Lebensläufe und vor allem „schwabisch“.
Der Österreicher Werner Schwab, der am 1. Januar 1994 mit 35 Jahren und 4,1 Promille Alkohol im Blut starb, erfand für seine Figuren eine merkwürdige, nicht ganz stubenreine Kunstsprache, die Monstrositäten aufdeckt. In seinen Katastrophenkomödien ist viel die Rede von fleischlichen Bedürfnissen – von Sexualität, Essen/Trinken bis zum Stuhlgang. „Fäkaliendramen“ nannte er seine frühen Stücke, zu denen Die Präsidentinnen gehört. Das 1990 am Künstlerhaus Wien uraufgeführte Werk stand am Anfang seiner kurzen steilen Karriere.
Es gibt viel zu lachen in der Werkstatt, wo der Regisseur Robert Gerloff Schwabs Präsidentinnen auf die Suche nach ihrem kleinen Glück geschickt hat. Ohne bizarre Inszenierungs-Verfremdungen, im sicheren Vertrauen auf drei fantastische Schauspielerinnen. Birte Schrein ist die sparsame Mindestpensionistin Erna mit der vom Müll geretteten Pelzkappe. Ein bisschen verliebt in den bigotten polnischen Fleischhauer Wottila Karl und seinen preiswerten Leberkäs. Ziemlich enttäuscht von ihrem Sohn Hermann, der lieber tief ins Glas schaut, als „leibeigene“ Kinder zu machen. Gegenüber der „Betschwester“ ist die Pensionistin Grete eine „Lustige“. Ursula Grossenbacher mit blonder Perücke und von der Kostümabteilung sichtlich ausgepolstert, spielt die verführerische Dame, die von einem feschen Tubaspieler träumt. Vom Gatten wegen einer Jüngeren verlassen, die missbrauchte Tochter nach Aus­tralien geflohen – geblieben ist nur der treue Dackel Lydie.
Wie eine heilige Johanna der Aborte greift Lena Geyer als grenzdebiles Mariedl in die natürlichen menschlichen Hinterlassenschaften. Stolz und ohne Handschuhe, zumal der Herr Pfarrer gern eine Belohnung (z.B. eine Dose Gulasch) in den verstopften Toiletten versteckt. Geyers Mariedl ist Klofrau aus göttlicher Berufung möchte „einen Frieden“ auf der Welt. Die falsche Harmonie zwischen Mundauswurf und Exkrementen hält indes nicht lange. Mit zunehmendem Weingenuss werden die alten Präsidentinnen durchaus handgreiflich und greifen schließlich zum Schlachtmesser. Das Ende ist blutig, selbst Lydie muss dran glauben. Nach ihrer Wiederauferstehung singen die drei noch ein nettes Lied: „Der Herrgott ist ein Autobus …“.
Was der köstlich gemeinen Volksstück-Parodie mit beträchtlichem Ekelfaktor noch eine bitterböse Pointe hinzufügt. Für Publikum unter 16 Jahren ist die gelungene Aufführung eher nicht zu empfehlen. Für abgebrühte Liebhaber großer Schauspielkunst jedoch sehr. Dackel Lydie spielt auf der Bühne nicht mit, aber man sollte beim Eingang mal nach Mulle schauen. Deren Frauchen ist übrigens die Schauspielerin Anne Scherliess, in Bonn vor allem bekannt aus Produktionen der „Pathologie“. E.E.-K.

Spieldauer ca. 90 Min., keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
2.11. // 9.11. // 16.11. // 24.11. // 7.12. // 21.12. // 28.12.17

Freitag, 12.01.2018

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