Ich weiß ... was Du im Sommer 2037 tun wirst - Contra-Kreis-Theater - kultur 139 - Oktober 2017

ICH weiß...
Foto: Contra-Kreis-Theater
ICH weiß...
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Zukunfts-Komödie

Vorbei die Zeiten, als Siri, Alexa oder Cortana freundlich ihre Hilfe anboten. Die neue Sprachsoftware heißt einfach ICH, ist universal vernetzt und will immer das Beste für alle. ICH entwickelt von Birn, Nachfolgekonzern eines bekannten
Unternehmens mit angebissener Frucht der Erkenntnis als Logo, weiß alles über dich. Sofern du ihm deine Daten anvertraust und ES Kontakt zum Über-Ich hat. Womit wir die alte Freudsche Funktionstrias schon mal komplett im Speicher haben.
Wir schreiben das Jahr 2037. Der dritte Weltkrieg ist vorbei, ausgelöst von einem Präsidenten der USA, der den roten Knopf mit dem Schalter seines Turboföns verwechselte. Wer um 2020 geboren wurde, ist selbstverständlich genetisch optimiert. Jeder trägt Augmented-Reality-Kontaktlinsen. Ein Leben ohne all die
nützlichen technischen Errungenschaften ist nicht mehr vorstellbar. Und plötzlich finden sich fünf Jugendliche imWald wieder, ohne Wasser, Nährstoffpräparate und vor allem ohne ARKontaktlinsen.
Ihre Eltern haben ihnen ein Campingwochenende in derWildnis verordnet.
Tatsächlich bloß im verwilderten Stadtpark, aber für die Kinder der Generation Smart eine echte Herausforderung.
Der 16-jährige Autor und Regisseur Bernard Paschke hat das futuristische Szenario erfunden.
Es ist eine klassische Dystopie mit allerhand witzigen Anspielungen. Der Abenteuertrip beginnt noch leidlich mit dem relativ gelungenen Aufbau des mitgebrachten Zeltes. In unschuldsweißen Kostümen hocken sie auf Baumstümpfen zwischen Plastikmüll und fürchten sich vor der nur von Vogelgezwitscher unterbrochenen Stille.
Glücklicherweise hat einer doch AR-Kontaktlinsen mitgebracht, und das Netz funktioniert einigermaßen.
Die virtuelle Freundin ICH hilft beim Feuermachen, Wasserholen und sogar beim Finden nahrhafter Lebewesen. Aber sie kann noch mehr, bestimmt zunehmend die Abläufe, verlangt bei Zweifeln an ihren Beglückungs-Intentionen empfindliche Strafen.
Da kann der aufmüpfige Adrian (Jan Philipp Zaun) wortreich erklären, dass ICH nur ein Algorithmus ist, der in Wirklichkeit nichts zu sagen hat.Was ihn beinahe das Leben kostet. Seine Schwester Katja (AnnaWagner) glaubt jedes Geheimnis sicher aufgehoben in ICHs elektronischem Mustersortiment. Die kokette Zoe (Julia Seitz) nervtmit ihrer Begeisterung für den Popstar Kevin Hamster (!), während ihr Bruder Finn (Bernard Paschke) dieWelt nur vomBildschirm kennt. Freund Marvin (Moritz Gatz) wird irgendwann gestehen, dass seine Eltern aktive Leugner der mittlerweile eingetretenen Klimakatastrophe waren und sich damit das Mitleid der stolzen Greenpeace-Nachfahren sichern.
Das Gefahrenpotenzial von Meinungsfreiheit ist in der schönen neuen Welt weitgehend eliminiert. Sozialverhalten wird ferngesteuert, bis der Akku leer ist.
Mit witzigen Gegenwarts-Bezügen und Sprachspielen im Kampf zwischen ICH und ich erzählt Paschkes Inszenierung mit flottem Tempo eine höchst unterhaltsame Zukunftsgeschichte. Die theaterbegeisterten jungen Spieler agieren psychologisch erfrischend präzis.Wer nie unter
Tränen seinen Browser verwünschte oder Android für eine Variante humaner Kommunikation hält, darf getrost in seinem postmodernen Kokon verharren. Für alle anderenwar die (inkl. Pause) zweistündige Aufführung ein mit entsprechendem Premieren-Beifall belohntes, intelligentes Vergnügen. Zudem öffnete der Contra-Kreis damit seine Bühne klug für den talentierten Nachwuchs und neues Publikum.

Paschke war übrigens eine Entdeckung beim Schultheater-Festival „spotlights“ 2016 und wurde von der JTG dem Contra-Kreis-Chef Horst Johanning empfohlen. Paschke wird in der Saison 2017/18 in der „spotlights“-Jury mitwirken. Sofern
es seine Zeit erlaubt, denn am 13. September startete er im Pantheon mit seinem Kabarett- Solo „Ein bunter Pott Püree“ eine eigene Deutschland-Tournee mit Auftritten zwischen Trier und Cottbus. E.E.-K.

Dienstag, 14.11.2017

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