Bonnopoly - Kammerspiele - kultur 139 - Oktober 2017

Bonnopoly
Foto: Thilo Beu
Bonnopoly
Foto: Thilo Beu

Perfekte Politkomödie

Das Haupt verschwand. Übrig blieb eine Bundesstadt. Da
hocken sie nun enttäuscht in einer Wirtschaft mit spießigen
hölzernenWandpaneelen, gucken Tagesschau und beklagen
Bonns Schicksal. Mit knapper Mehrheit beschloss
1991 der Deutsche Bundestag in Bonn, den Regierungssitz
der wiedervereinigten Republik nach Berlin zu verlegen.
Der alte Glanz verschwand. Ministerien, Botschaften und
Lobbyisten zogen an die Spree. Zum Ausgleich floss viel
Geld ins Rheinland. Und Bonn wurde UN-Stadt (nur ganz
Böswillige nannten es „Unstadt“), freute sich über Sekretariate
zum Erhalt der Fledermäuse, wandernder wildlebender
Tierarten und der Kleinwale in Nord- und Ostsee. Aber
etwas richtig Großes sollte neben demneuenWahrzeichen
Posttower (immerhin das elfthöchste Gebäude in ganz
Deutschland) auch noch her: einWorld Conference Center
(WCCB)! Es sollte zudemdie Stadt, also deren Bürgerinnen
und Bürger, nichts kosten. Die Suche nach einem Investor
erwies sich unter diesen Bedingungen als schwierig. Bis
man fündig wurde im fernen Osten. Der Südkoreaner Man-Ki Kim, dessen
Unternehmenmit demNamen eines bekannten Autokonzerns glänzte,
wurde von der seit 1994 amtierenden Oberbürgermeisterin Bärbel
Dieckmann als „Glücksfall für Bonn“ gefeiert. So nahm das Unglück seinen
Lauf, das nun in den Kammerspielen als Drama zu besichtigen ist.
Nach langen, durchaus komplizierten Recherchen verfasst von dem Autor
Ulf Schmidt zusammen mit einem Dramaturgen-Team, zu dem auch
Schauspiel-Direktorin Nicola Bramkamp gehört. Inszeniert von demprojekt-
erfahrenen Regisseur Volker Lösch, der hier schon mit Waffenschweine
und Nathan große Publikumserfolge verzeichnete.
Klarnamen werden nicht genannt, aber jeder mit der neueren Bonner
Stadtgeschichte einigermaßen Vertraute erkennt die Figuren, die in einer
bizarren Mischung aus Größenwahn, Ehrgeiz, Naivität, Realitätsverweigerung
und unfassbaremDilettantismus einen Skandal produzierten, der
die Stadt viele Millionen kostete. Die mit Spannung erwartete Uraufführung
des Bühnenwerks Bonnopoly. DasWCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf,
zu der ungewöhnlich viele Ratsmitglieder sowie Oberbürgermeister
Sridharan erschienen, blieb jedoch störungsfrei. Obwohl das Theater
bis zur letztenMinute fürchtete, dass doch noch eine einstweilige Verfügung
die restlos ausverkaufte Premiere verhindern könnte. Warum eigentlich,
alle Akteure sind juristisch nicht mehr zu belangen, und Dieckmann
engagiert sich als ehrenamtliche Präsidentin der Welthungerhilfe
rund um den Globus.
Ruckherzog (Bernd Braun, der später als König Midas einen Goldrausch
beschwört) und Schröderblair (Daniel Breitfelder) fordern Mut zu wirtschaftlichem
Wettbewerb und Wachstum. Mit „I love Beethoven“ erobert
der asiatische Investor (Holger Kraft) die Herzen trotz fehlenden Eigenkapitals.
Die warnende Sparkasse (Lisan Lantin) wird mit „Schnauze,
Sparkasse!“ und am Stadtrat vorbei genehmigten Bürgschaften abgefertigt.
Kim besorgte sich Geld zu astronomischen Zinsen von Finanzhaien
(mit niedlichen Rückenflossen versehen von den Kostümbildnerinnen Julia
Kurzweg, auch verantwortlich für das Bühnenbild, und Annegret Riedinger)
mit Sitz auf Zypern und Hawaii. Bis das Gelände zu 180%(!) Steuerparadiesvögeln
gehörte, was das Bonner Landgericht lange beschäftigte.
Die folgende Schlammschlacht ist kaum noch zu toppen. Bauskandale
können andere Städte nachweislich auch. Aber wie hier ein windiger Berater
(Jan Jaroszek als Michael Thielbeer) flugs die Seiten wechselt, eine
völlig überforderte Bürokratin (Birte Schrein als Evi Zwiebler) und ein eilig
aus dem Ruhestand beförderter Bürokrat (Glenn Goltz als Arno Hübner)
mit städtischem Vermögen hantieren, ist blanker Irrsinn. Bei jeder
Rechnung folgt das Prädikat: „Plausibel, Stempel drauf, überweisen“.
Und über allem thront die Oberbürgermeisterin und Verwaltungschefin
(großartig: Laura Sundermann), die keine Briefe oder Mails schrieb, nie
etwas unterzeichnete, nur das wusste, was ihre Untergebenen ihr mitteilten
und notfalls ein unschlagbares Argument parat hat: „Mein Mann
war Landesjustizminister!“.
In dem klebrig-goldenen Sumpf werden Aktenordner und Haushaltszahlen
gefischt. Ganz kleine Fische wie Frauenmuseum, Stadtteilbibliotheken
oder das Euro Theater Central sollen bluten, während täglich mehr
Geld verpulvert wird, als sie im Jahr zur Existenzsicherung brauchen. Bis
zur Pause funktioniert die spielerische Abrechnung theatral tadellos.
Danach wird’s reichlich trocken. Daniel Breitfelder karikiert brillant
Dieckmanns Amtsnachfolger Nimptsch. Der Rest ist leider echt und per
Video zugespielt: Kim geriert sich per Skype-Interview als schuldlos bestrafter
„Sündenbock“, der Würzburger VWL-Professor Peter Bofinger
hält eine Vorlesung zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der PublizistWerner
Rügemer verkündet seine diesbezüglichen Thesen, der Mietervereinsvorsitzende
Bernhard von Grünberg redet ausführlich über die
lokale Wohnungsnot. Zur Wort kommen allerhand Betroffene und
schließlich ein bei Lösch unvermeidlicher „Bürgerchor“. „Eine Stadt ist
kein Unternehmen“, sagen sie zu Recht. Sie muss viele Einrichtungen betreiben,
die sich nicht rechnen. Sie beschäftigt eine teure Verwaltung, die
sich ständig verrechnet. Sie ist kein Profitcenter.Manmuss nicht alle Forderungen
dieses bunten Sprechchors teilen (und möglichst verdrängen,
dass die alte Agitprop-Maschine mittlerweile gern weit rechts von der
Mitte zumEinsatz kommt), umzu begreifen, dass das Vertrauen in die demokratisch
gewählten Räte und Parlamente gefährlich gesunken ist. Das
ist letztendlich die nicht übertrieben neue, aber sinnlich unverschämt intelligent
präsentierte Botschaft des insgesamt gelungenen Abends, mit
demdas Bonner Schauspiel zumSaisonbeginn seine gesellschaftliche Relevanz
hier und jetzt nachdrücklich bewiesen hat. E.E.-K.
Zum Nachlesen der ganzen Verwicklungen um die „Millionenfalle“WCCB
gibt es an der Theaterkasse eine eigens für das Theater Bonn hergestellte
Dokumentation des Bonner „General Anzeigers“, der für seinemutigen
Recherchen mit mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde.
SPIELDAUER CA. 3 STD., EINE PAUSE
DIE NÄCHSTEN VORSTELLUNGEN:
1.10. // 7.10. // 11.10. // 15.10. // 28.10. // 11.11. / 18.11.17

Dienstag, 14.11.2017

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