Peter Grimes - Oper Bonn - kultur 138 - Juli 2017

Peter Grimes
Foto: Thilo Beu
Peter Grimes
Foto: Thilo Beu

Der Einzelgänger und das Meer


Es ist ein Freispruch mangels Beweisen. Aber der Fischer Peter Grimes, angeklagt wegen des Todes seines Lehrjungen, ist fortan gezeichnet als einer, der nicht in die Dorfgemeinschaft passt. Dem rauen Meer verfallen, das ihn am Ende mit seinem Boot aufnehmen wird, weil ihm auf Erden nicht zu helfen war. José Cura inszeniert den Prolog zu Benjamin Brittens 1945 uraufgeführter erster großer und bis heute meistgespielter Oper als beklemmendes Schattenspiel und lässt keinen Zweifel daran: Peter Grimes mag unschuldig sein, aber die Gewalt des Ozeans steckt in seiner Seele. Musikalisch wird das großartig beglaubigt vom Bonner Chefdirigenten Jacques Lacombe am Pult des Beethoven Orchesters, das insbesondere in den Zwischenspielen mit fabelhafter Intensität die emotionalen Tiefenschichten des Werks ausleuchtet.
Die Titelpartie singt der weltberühmte argentinische Startenor Cura selbst (in den Juni-Vorstellungen übernahm das Ensemble-Mitglied Johannes Mertes die anspruchsvolle Aufgabe) mit seiner prachtvoll strahlenden Stimme. José Cura hat sich sein Rollendebüt als Peter Grimes lange gewünscht und nun in Bonn realisiert. Dass er auch ein exzellenter Regisseur ist, beweist er außerdem. Seine Inszenierung ist erfreulich uneitel, gestaltet präzis und hochsensibel jede Figur des komplexen Psychodramas. Keine mühsamen Aktualisierungen, keine angestrengte Überinterpretation. Cura traut sich, mit der Musik eine Geschichte zu erzählen.
Sie handelt von einer Begebenheit, die Britten in der Verserzählung des Dichters George Crabbe fand und mit dem Librettisten Montagu Slater zu einem Musikdrama formte. Crabbe wurde 1754 in der südostenglischen Küstenstadt Aldeburgh geboren, dem historischen Schauplatz von Peter Grimes und dem Ort, wo Britten sich mit seinem Lebensgefährten niederließ. In Curas Bühnenbild erscheint genau der kleine Hafen-Wachturm mit dem angebauten Häuschen, den Aldeburgh-Besucher kennen. Auf einer Drehbühne verwandelt sich das Bauwerk mit ausklappbaren Wänden schnell in Kirche, Kneipe oder enge Hütte. Auch die Boote auf dem kargen Kieselstrand haben ihre authentischen Vorbilder. Auch die ebenfalls von Cura entworfenen historischen Kostüme gehören zu der realistischen Optik. Denn es geht vordergründig um die soziale Ausgrenzung eines Menschen, der indes selbst ein Getriebener ist: ehrgeizig, voller Sehnsucht nach Anerkennung, jedoch unfähig zu Gemeinschaft und Empathie.
In Aunties‘ Dorfgasthaus herrscht munteres Treiben, während draußen ein wilder Orkan tobt. Aber niemand will mit dem Eigenbrötler Grimes anstoßen, der sich trotz des Unwetters und gegen die Gerichtsauflagen vom Kutscher Hobson (Daniel Pannermayr) einen neuen jungen Gehilfen aus dem Armenhaus bringen lässt. Die Mezzosopranistin Ceri Williams gibt stimmlich und spielerisch souverän die robuste Wirtin. Auntie (Tantchen) hat im Nebenzimmer Platz für ihre beiden hübschen ‚Nichten‘ (Marie Heeschen und Rosemarie Weissgerber), an die sich auch gleich der fromme Methodist Boles (Christian Georg) heranmacht. Die hysterische alte Mrs. Sedley (Anjara I. Bartz / Susanne Blattert) bekommt vom Apotheker Keene (Fabio Lesuisse) heimlich ihre Drogen. Bürgermeister Swallow (Leonard Bernard) kümmert sich ziemlich lässig um Recht und Ordnung. Pastor Adams (David Fischer) drückt gern mal ein Auge zu, wenn seine gottesfürchtige Herde sich moralisch nicht ganz korrekt verhält. Peter Grimes ist das schwarze Schaf der Gemeinde. Der Opernchor und der Extrachor unter der Leitung von Marco Medved bewältigen ihre höchst anspruchsvollen Aufgaben (inkl. der vielen solistischen Partien) hervorragend.
Während der Sonntagsgottesdienst zelebriert wird, entdeckt Ellen Orford mögliche Zeichen von Misshandlung am Körper des Kindes, das ­Grimes in seinen Dienst genommen hat. Die große Partie der Ellen ist das emotionale Zentrum von Brittens Oper. Yannick-Muriel Noah mit ihrem warm leuchtenden Sopran ist eine Idealbesetzung für die erfahrene, gutherzige Lehrerin, die trotz aller Zweifel treu zu dem düsteren Grimes hält. Der träumt davon, sie zu heiraten, sobald er zu Ansehen und Wohlstand gelangt ist. Der brave alte Kapitän Balstrode (Mark Morouse, sein Sohn Jaydon spielt den stummen Lehrling John) ahnt, dass Grimes keine Chance hat. Nicht nur wegen der unbarmherzigen Mitbürger, sondern weil dieser gefühlskalte Mann selbst das Unheil anzieht.
Das kreuzförmige Fenster der Dorfkapelle leuchtet bedrohlich, wenn die aufgebrachten Dorfbewohner sich in der Nacht auf den Weg machen zur Hütte des Fischers, der unter dem Verdacht steht, erneut einen Lehrjungen auf dem Gewissen zu haben. Grimes flieht in Panik vor der Meute, sein Gehilfe stürzt von einer Klippe. Wieder ein Unfall oder vorsätzliche Tötung? Curas Inszenierung lässt keinen Zweifel daran, dass viele mitschuldig sind.
Zu Höhepunkten der Aufführung geraten Grimes‘ lyrische Arie „Now the Great Bear and Pleiades“ im zweiten Akt, in der er den unabänderlichen Lauf der Gestirne („Who can turn the skies back and begin again?“) auf die unberechenbaren Heringsschwärme herunterbricht. Sein Kosmos ist das unerschütterliche Meer. Ihm gehören seine Feindschaft und sein bodenloses Verlangen. Zutiefst berührt die Wahnsinnsszene am Schluss. Wie aus einer anderen Welt erscheinen drei weißgekleidete Knaben in seinem Boot. Die Opfer seiner brutalen Ausbeutung oder tröstende Engel, die seine letzte Fahrt begleiten? Denn Peter Grimes hat keine Wahl mehr. Der Ozean ist seine Heimat. Die Schatten vom Anfang kehren zurück.
Fortsetzung Seite 4
Die Begeisterung des Publikums bei der Premiere war fast grenzenlos. Um Karten für die vorläufig letzten Bonner Vorstellungen sollte man sich schnell bemühen. Die Alternative wäre eine Reise nach Monaco. Die Aufführung ist eine Koproduktion mit der Opéra de Monte-Carlo, wo sie im Februar 2018 zu erleben ist. Dem fabelhaften Team der Bonner Oper zu verdanken ist, dass hier solches Musiktheater auf Weltklasse-Niveau möglich ist. E.E.-K.


Spieldauer ca. 3 Std., eine Pause
Die Letzten Vorstellungen:
30.06. ? 8.07.17 ? 15.07.17
Keine Übernahme in die nächste Saison!

Dienstag, 12.09.2017

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