Gastspiel Houston Ballet - Oper Bonn - kultur 136 - Mai 2017

TAPESTRY / MANINYAS / VELOCITY

Das Houston Ballet zählt zu den renommiertesten Ballettensembles der Welt. Finanziert durch eine Stiftung und mit einem großen kommunalen kulturellen Engagement, bekennt sich das Houston Ballet mit seinem Chefchoreografen Stanton Welch ausdrücklich zu den klassischen Wurzeln des Tanzes als Grundlage für ein breites Reper­toire. Diese gemeinhin als neoklassisch bezeichnete Stilistik erfreut sich in der Regel auch beim Publikum großer Beliebtheit. Auf das Gastspiel in Bonn, Teil der Deutschlandtournee 2017, konnte man auch aus einem anderen Grund gespannt sein. Die Auswahl der Komponisten versprach musikalische Entdeckungen. Neben dem 5. Violinkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart gehörten Kompositionen der Komponisten Ross Edwards und Michael Torke zum Programm des dreiteiligen Ballettabends, der von Chefchoreograf Stanton Welch selbst 2015 inszeniert wurde.
Edwards und Torke zählen zu einer Gruppe in Europa wenig bekannter zeitgenössischer Komponisten, deren Musik modern und zugleich für die meisten Zuhörer begeisternd ist. In deutschen Konzertsälen hält man dies gelegentlich für ausgeschlossen.
Wie klug die Musikauswahl für diesen Ballettabend war, wird hier gleich zu lesen sein, denn dahinter verbirgt sich das wahre Geheimnis eines so grandiosen wie perfekten Abends, der zu recht das Publikum in Bonn von den Stühlen riss.
Aber zu den Besonderheiten großer Inszenierungen gehört es, dass sich auch der Zuschauer, der sich einfach nur von der Kraft der Bilder und Bewegungen berauschen will, reich beschenkt fühlt und nicht gezwungen ist, über die Hintergründe zu forschen.
Wer sich aber gefragt hat, warum dieser Ballettabend so faszinierend ist und wem die Antwort, dass man es hier mit Tänzern der Extraklasse zu tun hat, nicht ausreicht, der musste einen Blick in die Partituren der ausgewählten Kompositionen werfen und konnte dort sehen, wie der Choreograf sein breites Oeuvre neoklassischen Bewegungsvokabulars in den Dienst der musikalischen Intentionen der Komponisten stellt. Das macht u.a. diesen Abend so phantastisch, dass man unbewusst von jener tänzerischen Musikalität mitgerissen wird.
Mozarts 5. Violinkonzert entstammt einer Phase beruflicher Erfolglosigkeit und kompositorischer Genialität. In diesem Konzert perlen die Hauptthemen mit schwereloser Leichtigkeit. Welch setzt dies im ers­ten Satz durch drei Paare, ein Trio und einen Solisten kongenial um. So wie in der Musik Leitmotive und Solostimme harmonisch miteinander verwoben sind, schwebt die feingliedrig verwobene Choreografie. Im zweiten Satz dominieren vier Paare in einer scheinbar mühelos dahinschwebenden Perfektion des Pas de deux. Auch hier weist Welch die Solokadenz der Violine einem Solisten zu. Im dritten Satz, einem jener so leichtfüßig daherkommenden Rondos, die Mozart in variationsreicher Raffinesse zur Meisterschaft führte, übernimmt Welch die musikalische Struktur in seine Choreografie. Das Rondo wird als Rundtanz sprichwörtlich zur grundlegenden Figur der durch Frauen- und Männergruppen verkörperten zweigeteilten Struktur. Und wie im Finale des Violinkonzerts, vereinen sich die beiden Gruppen mit den Leitmotiven und der Solovioline, die noch kurz mit einem Solo aufblitzt wie ein Edelstein, um dann plötzlich mit dem gesamten Ensemble unvermittelt als Schlusspointe innezuhalten, als könnte nach dem Ende des Konzertes die Musik in jeder Sekunde erneut beginnen und fortfahren.
Der heute 74-jährige aus­tralische Komponist Ross Edwards ist in seiner Heimat kein Unbekannter. Sein Violinkonzert mit dem Titel Maninyas verbindet Elemente der Minimal Music mit freien, teils atonalen Elementen, die im dritten Satz zu einem harmonischen Ausklang schwungvoll und rhythmisch geschickt gesteigert führen.
Welch setzt auch diese Partitur in seiner Choreografie um: Im ersten Satz tanzen Männer und Frauen in getrennten Gruppen. Dabei müssen sich die Tänzer gleichsam wie die Instrumente des Orchesters erst zu einer Form finden, bis die Themen entstehen. In den darauffolgenden Passagen, bei denen Männer und Frauen sich in Pas de deux finden, werden die Bewegungen aber eher spiegelbildlich oder asynchron ausgeführt, Hebungen und Sprünge gibt es fast gar nicht. Die große Kadenz der Solovioline gehört auch hier dem Tanz der Solistin, die freie Entfaltung jenes von musikalischen Zwängen befreiten Soloparts der Violine ist wunderbar umgesetzt und getanzt und nimmt jeder Atonalität oder musikalischen Rauheit das befremdende Moment.
Danach finden sich die Harmonien umso angenehmer, ebenso wie die Tänzer in neuen Formationen. Edwards Minimal Music folgt dabei nicht jenem permanenten Viertel-Gehämmer wie beispielweise ­Philip Glass es in seinen Kompositionen der 70er Jahre tat, sein post-minimalistischer Stil ist viel melodischer und schwebt zwischen 3/4- und 4/4-Takt-Anmutungen. Dieses nimmt das Ensemble auf, vereint die einzelnen Gruppen und Paare zu einem Finale, welches sich kurz vor dem Schluss noch ein sehr wirkungsvolles Ritardando gönnt.
Die beiden Schlussstücke von Michael Torke Green und Ash von dem Album ONE runden pefekt das Programm ab. Torke ist ebenfalls ein Anhänger eines melodiösen post-minimalistischen Stils. Seine Rhytmik federt leicht und steht im Kontrast zu den gekonnt und massiv eingesetzten Blechbläsereinwürfen. Im Ballett wird das Eingangsthema durch ein Männer-Trio vorgestellt um danach sofort - wie in der Musik - demontiert und durch verschiedene Ensemble-Konfigurationen, wie im Orchester durch Instrumentengruppen und Tonarten durchgereicht zu werden. Stanton Welchs neoklassischer Stil ist im dritten Teil wieder strenger, ähnlich dem ersten Teil - nur im Mittelstück erlaubt er freiere moderne Variationen in den Bewegungen.
Wirkungsvolle teilweise humorvolle Kontraste des dritten Teils sind nicht nur die schwarzkostümierten Herren im Gegensatz zu den in weißen Tütüs auftretenden Damen, sondern auch technisch überragend ausgeführte Sprungpassagen der Männer kontrastieren mit zeitlupenhaft verzögerten Bewegungen, alles in einer Präzision zu einem wirkungsvollen Schluss gesteigert, der die angestaute Spannung beim Publikum in tosenden Applaus und Bravorufe entladen lässt.
Hubert Eckart

Donnerstag, 31.08.2017

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