The Gospel According to the Other Mary - Oper Bonn - kultur 136 - Mai 2017

The Gospel According To The Other Mary
Foto: Thilo Beu
The Gospel According To The Other Mary
Foto: Thilo Beu

Ergreifendes Oratorium zwischen Körperlichkeit und Spiritualität


Eine alternative Passions-Geschichte aus weiblicher Sicht haben John Adams und Peter Sellars geschaffen. Für das Libretto zu Adams‘ Opern-Oratorium kombinierte Sellars Passagen aus dem Neuen Testament und dem Buch Jesaja mit literarischen Texten des 20. Jahrhunderts, insbesondere der 1980 verstorbenen Sozialaktivistin Dorothy Day und der in einem Indianerreservat aufgewachsenen Schriftstellerin Luise Erdrich. Wesentliche Handlungsmomente der Evangelien liefern die Grundlage: die Wiedererweckung des Lazarus, das Passahmahl, die Kreuzigung und die Auferstehung. Aber im Mittelpunkt steht Maria Magdalena, die mit ihrer Schwes­ter Martha die Armen versorgt.
Für die deutsche szenische Erstaufführung – die konzertante Uraufführung fand 2012 in Los Angeles statt – hat Starregisseur Sellars seine Uraufführungs-Inszenierung an der English National Opera von 2014 überarbeitet und selbst etliche Proben mit dem Bonner Ensemble geleitet. Das Ergebnis ist eine Aufführung von geradezu überwältigender Intensität. Kaum spektakuläre Bühnen-Effekte, wenig Requisiten und theatrale Aktionen. Das Bühnenbild von George Tsypin besteht aus ein paar beweglichen Holzkisten, mit Stacheldraht bewehrten Gitterzäunen zu beiden Seiten und einer riesigen Stoffbahn im Hintergrund. Darauf erscheinen Zitate von Gemälden sowie durch Licht und Projektionen (Lichtdesign: James P. Ingalla) überdimensional vergrößerte Körperteile, als ob das geschundene Außen und beseelte Innen verschmölzen zu einer Einheit von Leib und Empfindung. Allein diese transparente Visualisierung von Sinnlichkeit und Spiritualität ist ein staunenswertes Wunderwerk in dieser bewegenden musikdramatischen Re­flexion des christlichen Ursprungsmythos. Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer in schwarzen Trikots sind Teil des Geschehens. Manchmal als Doubles der Protagonisten, zumeist jedoch als stumm Mitleidende, die deren Schmerzen teilen. Es gibt hier viel zärtliche Nähe und menschlichen Trost angesichts der Brutalität, mit der die gesellschaftlich Randständigen verdrängt werden.
Maria hört anfangs die Schreie einer drogensüchtigen Frau im Gefängnis. Maria will beten, aber nicht niederknien. Sie liebt Jesus, der das große Geheimnis der Menschenliebe verkörpert. Seine Stimme und die Erzählungen der Evangelisten hat der Komponist drei Countertenören anvertraut und damit die Differenz zwischen männlich und weiblich aufgehoben. William Towers, Benjamin Williamson und Russel Harcourt in militärischen Camouflage-Jacken (Kostüme: Gabriel Berry) singen fast überirdisch hell vom Dunkel der Welt. Die drei Hauptfiguren tragen Alltagskleidung bei ihrem Dienst für die Menschen, die nach Arbeit und Brot verlangen. Ronald Samm gibt mit voluminösem Tenor den Lazarus. Die Mezzosopranistin Christin-Marie Hill ist die verträumte Maria Magdalena, die verschwenderisch Güte und Schönheit verteilt, Jesu Füße mit kostbaren Ölen salbt und intuitiv begreift, was nicht zu verstehen ist. Als einzige aus dem festen Bonner Ensemble ist Ceri Williams dabei und trägt mit ihrer tiefen Altstimme das ganze Geschehen. Ihre bodenständig sympathische Martha kümmert sich tapfer um die Hungernden und Frierenden, Vergewaltigten und Verletzten. Martha hilft, während Maria Magdalena glaubt.
Durchhörbar wird das alles in der Musik des derzeit sicher populärsten klassischen amerikanischen Komponisten. John Adams, der kurz vor der Bonner Premiere seinen 70. Geburtstag feierte. Er mixt furchtlos Tonspuren von Bachs Passionen mit spätromantischer Klangopulenz, minimalistische Patterns mit exotischen Instrumentierungen, feine Melodiebögen mit komplexen Rhythmen. Nur notorische Nörgler stellen das gleich unter Kitschverdacht wie die Manierismen der gestischen Bewegungssprache des Regisseurs. Dieser lässt Pathos und große Emotionen durchaus zu, ohne je ins Sentimentale abzurutschen.
Die musikalische Leiterin Natalie Murray Beale hat alles mit dem fabelhaft differenziert spielenden Beethoven Orchester Bonn und den Sängern ungemein sorgfältig einstudiert. Energisch führt sie am Dirigen­tenpult durch Adams‘ Partitur und arbeitet viele Details geradezu plastisch heraus. Exzellent meistert der Opernchor unter der Leitung von Marco Medved seinen umfangreichen Part. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Sounddesign von Mark Grey.
Auf die eindrucksvolle Kreuzigungsszene – Jesu Todesqualen werden durch zwei zitternd am Boden liegende Tänzer dargestellt – folgt die Erlösung. Es ist Frühling geworden, man hört die kleinen Frösche im Teich, und Maria erwacht aus ihrer Verzweiflung. Maria begreift, dass der Gärtner am leeren Grab des Herrn der auferstandene Christus ist. Lebendig wie ihr Bruder Lazarus, den Jesus am Anfang von den Toten auferweckte. Mit ausgebreiteten Armen verlassen die Tänzer am Ende die Bühne: Denn es gibt eine große Hoffnung auf Menschlichkeit. Vielleicht naiv, aber gewiss jeden Versuch wert.
Das ergriffene Premierenpublikum spendete ausgiebigen Beifall für alle Mitwirkenden an diesem großartigen Musiktheater-Ereignis, das man nicht verpassen sollte. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1¾ Std. inkl. einer Pause
Die letzten beiden Vorstellungen:
11.05. ? 14.05.17

Peter Sellars bedankte sich nach der Premiere besonders herzlich bei dem ganzen Team, das hinter der Bühne das Gelingen der Aufführung ermöglichte. Die Werkstätten und die Techniker von Theater Bonn genießen mittlerweile international einen exzellenten Ruf. Nicht zuletzt deshalb gibt es zunehmend Koproduktionen mit großen Häusern wie der ENO London und demnächst mit der Oper Monte Carlo. Generalintendant Bernhard Helmich ist schon dabei, diese Schiene weiter auszubauen und damit das Musiktheater des 20. und 21. Jahrhunderts noch fester im Spielplan zu verankern. Abgesehen vom kostensparenden Effekt und den künstlerischen Impulsen kommt damit das hiesige Publikum in den Genuss von besonderen Erlebnissen.

Donnerstag, 31.08.2017

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