Tanzgastspiele Spellbound Contemporary Ballet und Les Ballets Bubenícek - Oper Bonn - kultur 134 - März 2017

Februar-Tanzhighlights

„Pa|Ethos“ mit dem
Spellbound Contemporary Ballet

Melancholie und Einsamkeit seien die Themen seines Werks Pa|Ethos, erklärte der in Peking und bei der Forsythe-Company in Deutschland ausgebildete chinesische Choreograf Sang Jijia in einem Interview. Seine ­tibetanischen Wurzeln müsse er nicht herausstellen. Inspiriert hätten ihn klassische Statuen in europäischen Museen und Gärten, ihr quasi erstarrtes Ausdrucksvokabular. Der Titel des zweiteiligen Abends, der in der Bonner Gastspielreihe „Highlights des Internationalen Tanzes“ seine Deutschland-Premiere feierte, setzt sich zusammen aus den Begriffen Pathos und Ethos. Mit der renommierten italienischen Company Spellbound Contemporary Ballet reflektiert er die Polarität der beiden rhetorischen Formen. Einerseits die strengen Regularien einer Gruppe, andererseits die individuellen Affekte.
Aber die exzellenten fünf Tänzerinnen und vier Tänzer vermischen sie auch. Pathetische Gesten erscheinen im ersten Teil plötzlich wie sinnentleerte Floskeln, eingefangen durch soziale Verhaltensmuster. Bei aller technischen Brillanz wirken die Akteure wie ferngesteuerte Hochleistungs-Maschinen, die selbst bei intimen Begegnungen einander fremd bleiben. Sie zitieren Ballettfiguren, gehen körperlich bis an die Grenzen des Möglichen und bewegen sich dabei wie unter einem geheimen Zwang. Die ästhetische Perfektion wird zur Metapher für die ethische Pflichterfüllung und die physischen Qualen, die der großen Idee vorausgehen. Ab und zu mischt sich manisches Gelächter in die zwischen meditativen Wiederholungen und rauen Rhythmen kreisende elektronische Musik des Hongkonger Star-Komponisten Dickson Dee.
Der skulpturale Effekt der Figuren wird verstärkt durch die weiß gepuderten Körper der Tänzer und durch das fantastische Lichtdesign von Marco Policastro. Wie eine Kathedrale aus sich überkreuzenden einzelnen Strahlen wirkt der Raum im ersten Teil; die vertikalen weißen Linien im zweiten Teil erinnern an antike Säulen. Auch hier erscheinen die Emotionen verhalten. Selbst wenn die Bewegungen nun stärker von innen kommen und kleine persönliche Revolten gegen die gesellschaftlichen Forderungen markieren. Die Körper werden dabei fast durchsichtig für die psychische Energie. In kraftvollen Solos, zarten Duetten, intensiven Trios und hochdynamischen Ensemble-Szenen offenbaren sie ein stupendes tänzerisches Können. Dennoch bleiben sie stets merkwürdig vereinzelt: Monaden, die das Universum spiegeln. Zwar empfindungsfähig und mit einem Ich-Bewusstsein versehen, aber ‚Kunstwerke‘ auf der Suche nach der Harmonie zwischen gesellschaftlichen Zwängen, äußerer Hülle und seelischer Bewegung.
In der (inkl. Pause) gut 90-minütigen rigoros antinarrativen Inszenierung fehlte manchem freilich der Logos. Überzeugter, aber nicht übermäßig begeisterter Beifall im gut besuchten Opernhaus.

Triumpf für „Les Ballets Bubenícek“

Die 1975 in Tschechien geborenen Zwillinge Jiri und Otto Bubenícek waren ab 1997 Starsolisten beim Hamburger Ballett von John Neumeier. 2006 ging Jiri als Erster Solist an die Dresdner Semperoper, Otto blieb in der Hansestadt. 2015 verabschiedeten sich beide aus dem festen Engagement, um gemeinsam eine eigene Company zu gründen: Les Ballets Bubenícek. Jiri arbeitet dabei vorwiegend als Choreograf, Otto ist zuständig für Musik und Ausstattung. Für ihre Produktionen haben sie sich (teilweise aus ihren früheren Wirkungsstätten) eine erstklassige Truppe zusammengeholt, die tänzerisch kaum zu übertreffen ist und jetzt in Bonn an zwei Abenden ihren umjubelten ersten Deutschland-Auftritt feierte.
Fast unerträglich schön ist Le souffle de l’esprit zur Musik von Bach bis Pachelbel mit Bildern von Leonardo da Vinci im Hintergrund. Fast unmerklich nähert und entfernt sich dort das geheimnisvolle Lächeln der Figuren, während die Tänzer und Tänzerinnen in hauchzarten weißen oder hautfarbenen Kos­tümen den schwerelosen Geist des Tanzes beschwören. Nach 25 bezaubernden Minuten erwacht man aus einem seligen Traum, um nach der ersten Pause in Toccata vielfarbige Variationen von Paarbeziehungen zu erleben. Neoklassisch zum Teil auf der Spitze getanzt, hochsensibel distanziert, gelegentlich ganz ohne Klangkulisse nur auf die bewegten Körper konzentriert.
Kritischer wird es nach der zweiten Pause mit Faun nach dem historischen Skandalerfolg der Tanzlegende Vaslav Nijinski. Vor einem Lichtkreuz verfällt ein Kirchenmann seinen erotischen Fantasien, sucht die Befriedigung seines Begehrens bei seinen jungen Schutzbefohlenen und träumt sich in die Rolle des Fauns, der jenseits aller Moral die reine Lust verkörpert. Es geht in dem kurzen, beklemmend intensiven Stück nur vordergründig um sexuellen Missbrauch, vor allem jedoch um die destruktive Macht der Sinnlichkeit.
Sich selbst auf den Leib geschrieben haben die Bubenícek-Zwillinge Das Bildnis des Dorian Gray nach der Erzählung von Oscar Wilde. Der Maler Basil (Jiri) schafft ein Porträt des Dorian Gray (Otto), das die Spuren von dessen moralischer Verwahrlosung spiegelt, während das Vorbild jung und schön bleibt. Dorians Tanz mit der armen Sibyl (hinreißend: Anna Merkulova) ist jedoch zu beseelt, um dahinter kalte Berechnung zu vermuten. Während er vor seiner hässlichen Fratze zusammenbricht, erscheint sein Bildnis wieder unbeschädigt. Oder ist es doch ein anderer, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht? Egal: Diese atemberaubend geistreiche Interpretation braucht zwei Ausnahmetänzer wie die Bubeníceks.
Nach 2½ Tanzwunder-Stunden Ovationen vom beglückten Publikum. E.E.-K.

Dienstag, 29.08.2017

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