Attila - Oper Bonn - kultur 134 - März 2017

Attila
Foto: Thilo Beu
Attila
Foto: Thilo Beu

Großartiges Musiktheater



Eine alte Geschichte wird vergegenwärtigt. Mit den Mitteln des epischen Theaters. Dietrich Hilsdorfs Inszenierung von Verdis früher, auf deutschen Bühnen relativ selten gespielter Oper Attila beginnt mit einem ebenso überraschenden wie überzeugenden Bild. Es ist das berühmte Gemälde „Judith enthauptet Holofernes“ von Artemisia Gentileschi, der bedeutendsten Malerin des italienischen Barock und überhaupt eine der ersten Frauen, die sich in der männlich dominierten Kunstwelt durchsetzte, auch wenn es noch Jahrhunderte brauchte, bis ihr die gebührende Anerkennung zuteil wurde. Wie die biblische Judith den assyrischen Feldherrn mit dessen eigenem Schwert tötete, will die mutige Odabella den Hunnenkönig Attila umbringen, der ihren Vater ermorden ließ und ihre Heimatstadt Aquilea zerstörte. Während der Ouvertüre wird das Bild als Tableau vivant auf einer in den Raum geschobenen Bühne nachgestellt. Zum blutigen Finale erscheint es erneut.
Hilsdorf und sein Bühnenbildner Dieter Richter überspielen die dramaturgischen Schwächen der Oper genial, indem sie sie theatralisieren. Schauplatz ist ein zeitloser italienischer Marktplatz mit Arkaden, billigen Plastikstühlen und später sogar einem Imbisswagen. Deutlich erkennbar werden bald an den hohen Mauern die Spuren des brutalen Krieges, den der Eroberer Attila begonnen hat. Auf einem Bühnenpodest stellt er seine Macht aus, würdigt die Gehenkten und die Leiche des Königs von Aquilea kaum eines Blickes und lässt seine marodierende Truppe einfach gewähren.
Der prominente Bassbariton Franz Hawlata spielt stimmlich differenziert mit fabelhafter Bühnenpräsenz den Hunnenkönig als naiv siegesgewissen Haudegen, der trotz Intellektuellenbrille nur wenig begreift von den Intrigen seiner Gegner. Ständig greift er nervös zur Zigarette; das Feuer reicht ihm diensteifrig sein bretonischer Sklave Uldino. Der Tenor Jonghoon You liefert ein spielerisch eindrucksvolles Porträt dieses Unterdrückten, der am Ende zu den christlichen Kämpfern überläuft.
Eher belustigt betrachtet Attila die junge Odabella, die trotzig sein Schwert verlangt. Die eigenwillige stolze Frau imponiert ihm, so dass er sie in seinem Gefolge akzeptiert. Bravourös meistert die Sopranistin ­Yannick-Muriel Noah die extrem anspruchsvolle Partie. Sie ist stimmlich und darstellerisch geradezu eine Idealbesetzung für die Rolle der einsamen Kriegerin, die selbst die ihrem Volk angetane Gewalt rächen will. Als ehrgeiziger römischer Feldherr Ezio brilliert der Bariton Ivan Krutikow. Sein Angebot, Attila die Weltherrschaft zu überlassen, wenn er selbst Italien (unter Ausschaltung des minderjährigen Kaisers) regieren dürfe, lehnt der Hunne schroff ab. Mit einem „elenden Schwätzer“ macht ein Siegertyp keine heimlichen Geschäfte.
Für das Zwischenspiel wird ein Vorhang mit Lagunen-Panorama aufgezogen wie die gute alte Brecht-Gardine. Die Flüchtlinge aus Aquilea gründeten der Sage nach in der Adria eine neue Stadt wie Phönix aus der Asche: Venedig, wo Verdis Oper Attila am Teatro La Fenice 1846 uraufgeführt wurde. Es gibt viele patriotische Anspielungen in dem Werk, das von den Zeitgenossen durchaus politisch wahrgenommen wurde. ­Foresto, Anführer der Vertriebenen und zudem verlobt mit Odabella, hat sogar in seinem Rucksack ein Häufchen Heimaterde vom Festland mitgebracht, das er sorgsam mit einem Kreuz garniert. George Oniani gibt mit strahlendem Heldentenor den Widerstandskämpfer, der voller brennender Eifersucht nicht verstehen kann, dass seine Geliebte sich in den Feldlagern des Hunnenkönigs herumtreibt.
Dessen Zelt wird zur Bühne, wo er nachts aus einem Albtraum aufschreckt: Ein alter Mann versperrte ihm den Weg nach Rom und beschuldigte ihn, eine Geißel der Menschheit zu sein. Und weil ja alles Theater ist, nimmt eben diese Traumerscheinung schnell Wirklichkeit an. Der Bass Leonard Bernad hat als römischer Bischof Leo I. einen prächtigen Auftritt mit flottem Papamobil, frommen Nonnen und Pilgern. Chor und Extrachor unter der Leitung von Marco Medved spielen ohnehin eine tragende Rolle in dieser Oper und bewältigen ihre Aufgaben vorzüglich. Ein Sonderlob gebührt der Statisterie unter der Leitung von Gyda Löcher. Für die vielen Kostüme der Krieger, Kriegsversehrten und unerschütterlich ihrem normalen Leben nachgehenden Kleinbürger hat Renate Schmitzer gesorgt.
Das eigentlich Aufregende ist indes die Musik unter der temperamentvollen Leitung von Will Humburg, der die Reihe der frühen Verdi-Opern in Bonn initiiert hat und mit dem Beethoven Orchester wieder solch tollkühne Funken aus der Partitur schlägt, dass man vor lauter Hörspannung fast die sensiblen Lichteffekte von Thomas Roscher übersieht. Genau hinschauen sollte man trotzdem, wenn am rechten Rand Ezio, Foresto und Uldino das Gift für den verhassten heidnischen Tyrannen zusammenmixen. Odabella verhindert den Mord, woraufhin Attila sie gleich heiraten will. Genau darauf hat diese starke Frau gewartet. Sie allein will die Tat vollbringen. Das Hochzeitsbett ist ihre ultimative Bühne.
Eine fabelhafte Inszenierung, die komische Elemente zulässt. Musikalisch erstklassig, was der lange Premierenbeifall deutlich bestätigte. Die üblichen vereinzelten Buhs schien der Regisseur zu genießen. Die Zustimmung für diese intelligente, mit pausenlosen 90 Minuten zudem recht kurzweilige Attila-Ehrenrettung war dennoch fast einhellig. Entschieden empfehlenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 1½ Std., keine Pause
Die weiteren Vorstellungen:
19.03. / 30.03. / 12.05. / 3.06. / 17.06. / 28.06.17


Dienstag, 29.08.2017

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