Benjamin Berger - kultur 133 - Februar 2017

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Benjamin Berger - Serge, Tybalt und ein Rebell im Wald

Am Morgen hat er geprobt für die Uraufführung von Der Zorn der Wälder. Premiere des neuen Stückes von Alexander Eisenach ist am 10. Februar in der Werkstatt. „Der Text ist erst Ende Dezember fertig geworden. Dass wir diesmal eine ungewöhnlich kurze Probenzeit haben, liegt aber vor allem am vollen Terminkalender des Regisseurs Marco Štorman“, erklärt Benjamin Berger. Der junge Schauspieler verkörpert den Hawkins, der sich in den Wald zurückgezogen hat und in seiner Hütte eine Revolte gegen die kapitalistische Gesellschaft plant. Zwei große Themen bestimmen seine jugendlich stürmischen Gedanken: Aussteigen und als Eremit im Wald neue autonome Lebensformen entwerfen oder aktiv den Kampf gegen das System aufnehmen. Es klingt fast schon abgedroschen, aber in diesem Fall geht es tatsächlich um hochaktuelle politische Fragen. Heute, wo nichts mehr sicher scheint, ist das ganz wichtig.“
Von Haltung spricht Berger gern. Klare politische Haltung zu zeigen, sieht er als zentrale Aufgabe des Stadttheaters. „Manchmal sagt ein Regisseur bei den Proben: ‚Das war schon gut, aber die Haltung stimmt noch nicht‘. Für mich ist Haltung keine formale Kategorie. Es geht mir nicht darum, Texte aufzusagen, sondern als selbstständig denkender Künstler zu agieren. Alles, was ich auf der Bühne mache, ist untrennbar mit meiner Person und eben auch meiner Haltung zu den Verhältnissen verbunden. Deshalb habe ich am liebsten Regisseure, die mit den Schauspielern auf Augenhöhe arbeiten und einen angstfreien Raum für Phantasie schaffen. Theater ist prinzipiell Dialog. Das muss sich nicht ständig in organisierten Gesprächen äußern. Aber ein Theaterabend soll nicht mit dem Applaus zu Ende sein. Es muss zwischen uns auf der Bühne und dem Publikum eine stetige Kommunikation stattfinden.“
Natürlich ist auch der Applaus eine Mitteilung, und selbstverständlich freut Berger sich, dass die Aufführung von Yasmina Rezas Kunst in der Regie von Jens Groß so begeisterten Zuspruch findet. „Das Stück ist über 20 Jahre alt und immer noch ganz frisch. Gewiss wollte die Schauspielleitung gern mal einen echten Renner im Programm haben. Es macht auch großen Spaß, etwas ‚Leichtes‘ zu spielen. Wobei das Stück ja doch ziemlichen psychologischen Tiefgang hat und die Oberflächlichkeit des bildungsbürgerlichen Kunstkonsums frech ankratzt.“ Berger spielt den erfolgreichen Dermatologen Serge, der sich ein weißes Bild gekauft hat und damit eine irre Freundschafts-Krise auslöst. „Nach einer ausverkauften Vorstellung am Ausgang lauter glückliche Gesichter zu sehen, ist wirklich schön. Unterhaltung ist schließlich sogar im Wortsinn Kommunikation.“
Theater als öffentlichen Diskursraum hat er in seiner Heimatstadt Schwedt an der Oder schätzen gelernt, wo er 1986 geboren wurde. Die Kleinstadt in der Uckermark erlebte er als „typischen Wendeverlierer-Ort“. Hohe Arbeitslosigkeit, leerstehende Plattenbau-Wohnungen. Ca. 30 % der Bevölkerung zog nach 1989 weg. „Was blieb, waren DDR-Nos­talgiker und eine wachsende braune Szene. Clubs und Bars gab es nicht; die zwei Kneipen waren Neonazi-Treffpunkte. Zufluchtsort für alle kritischen Jugendlichen wurde das Stadttheater, wo die Rechten nicht hingingen. Als Schüler war ich ständig im Theater. Weniger wegen der Kunst, sondern weil ich es als sozialen Raum erlebte, wo man frei atmen konnte. Am Gymnasium belegte ich zwar das Wahlpflichtfach „Darstellendes Spiel“, bekam gute Noten und besserte mein Taschengeld als Statist an den städtischen Bühnen auf. Die Stücke interessierten mich jedoch weniger als die Möglichkeit, Teil eines gesellschaftlich relevanten Ortes zu sein. An den glaube ich immer noch, obwohl der Schauspielerberuf einige Ernüchterungen mit sich bringt.“
An der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig bewarb er sich ohne große Ambitionen. „Ich hatte keine Ahnung, wie die Vorsprechen ablaufen und mich kaum vorbereitet.“ Er bekam auf Anhieb einen der begehrten Studienplätze, war mit 18 Jahren der Jüngste in der Klasse und schloss seine Ausbildung 2009 mit einem Diplom ab. Während seines Studiums sammelte er praktische Erfahrungen als Ensemble-Mitglied des Schauspielstudios am Neuen Theater Halle. 2007 debütierte er dort in der Regie von Christina Friedrich in Fight Club nach dem Film von David Fincher und spielte 2008 die männliche Hauptrolle bei der spektakulären Uraufführung von Feuchtgebiete nach dem Bestseller von Charlotte Roche.
Direkt nach dem Studium folgte ein festes zweijähriges Engagement am Deutschen Theater Göttingen. Er spielte u.a. den Hofmarschall von Kalb in Alice Buddebergs Inszenierung von Kabale und Liebe und die Titelrolle in Die Leiden des jungen Werthers in der Regie von Mirja Biel. Die Inszenierung mit Texten aus den Tagebüchern von Curt Cobain war in der Spielzeit 2015/16 auch in den Bonner Kammerspielen zu erleben. Die Rolle des Prinzen Leonce in Leonce und Lena, inszeniert von Mirja Biel und Joerg Zboralski übernahm er in seiner ersten Bonner Spielzeit. Der 2014 verstorbene Zboralski hatte Berger für das neue Bonner Ensemble vorgeschlagen. „Ich kannte fast alle Kollegen schon aus früheren Arbeiten. Nur die Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp traf ich hier zum ersten Mal.“
Mit Mirja Biel hat er inzwischen sieben Inszenierungen gemacht. Zu den für ihn prägenden Regisseuren zählt er vor allem Martin Nimz. Während seines Engagements am Badischen Staatstheater Karlsruhe wirkte Berger mit in seiner Inszenierung von Grabbes wildem Dramenerstling Herzog Theodor von Gothland und spielte in seiner Regie die Titelrolle in Jakob der Lügner nach dem Roman von Jurek Becker. Nach zwei Jahren in Karlsruhe ­wechselte Berger 2013 ans Bonner Schauspiel und spielte hier zahlreiche große Rollen. Als seine persönliche Lieblings-Inszenierung nennt er Das Fest nach dem Film von Thomas Vinterberg in der Regie von Martin Nimz. „Es war eine wunderbare Ensemble-Arbeit, getragen von großartigem gegenseitigem Vertrauen.“
Derzeit ist er in den Kammerspielen zu erleben als Tybalt in Romeo und Julia und als Hoover in Schöne neue Welt (die erfolgreiche Produktion ist mittlerweile von der Halle Beuel umgezogen nach Bad Godesberg) und natürlich als Kunstliebhaber Serge. In der Werkstatt spielt er den am Leben zerbrochenen Konstantin in Thomas Melles Bilder von uns. „Es ist toll, dass diese Uraufführung in der Regie von Alice Buddeberg auch überregional so viel Aufsehen erregt hat. Wir haben uns sehr gefreut über die Einladungen zu den Mülheimer Theatertagen und zu den Autorentheatertagen Berlin.“
So lange wie in Bonn hat er es noch an keinem Theater ausgehalten. „Dass ich so viele Vorstellungen spielen durfte, sehe ich als Zeichen der Wertschätzung und des Vertrauens. Trotzdem habe ich zum Ende dieser Spielzeit gekündigt. Denn nach fast zehn Jahren im festen Engagement brauche ich neue künstlerische Impulse. Ich gehe nicht im Zorn oder aus Frustration, sondern weil ich eine Zeit lang frei arbeiten möchte. Ich musste in den letzten Jahren mehrere interessante Drehangebote ablehnen, weil der eng getaktete Theateralltag dafür keine Zeit ließ.“ Außerdem hat seine ehemalige Hochschule in Leipzig ihm einen Lehrauftrag angeboten, und mehr Zeit für seine Familie hätte er auch gern. Noch wohnt er mit seiner Frau, der Schauspielerin Anna von Haebler, und der vierjährigen Tochter in Bad Godesberg. Von Haebler ist neben ihrer Tätigkeit für Film und Fernsehen Mitglied am Berliner Ensemble und dort u.a. in Faust I und II in der Regie von Robert Wilson zu sehen. Nach unserem Gespräch bleibt Berger gerade noch eine Stunde für sein Kind, bevor er in die Maske muss für Schöne neue Welt am Abend.
Gern besucht er gelegentlich seine Heimatstadt und die Uckermärkischen Bühnen Schwedt. „Die stehen sicher nicht im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit, sind aber fest im gesellschaftlichen Leben der Region verankert und sehr gut besucht. Dort würde niemand die Notwendigkeit eines Stadttheaters bezweifeln wie hier im immer noch wohlhabenden Bonn.“

Donnerstag, 13.04.2017

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