Chin Meyer - kultur 132 - Januar 2017

Der Schein der Scheine – Chin Meyer betrachtet das Verhältnis von Geld und Wert

von Thomas Kölsch

Überall Illusionen. Täuschungen. Schnöder Schein. Vor allem in der Finanzwelt. „600 Billionen Euro spekulatives Kapital schwirrt da herum“, sagt Chin Meyer, „ein Vielfaches des durch einen realen Gegenwert gedeckten Geldes. Das ist doch absurd.“ Und somit ein exzellenter Einstieg für einen Kabarettisten, der sich durchaus gerne mit Wirtschaftsthemen auseinandersetzt. Mit diesem Schwerpunkt hat der 57-Jährige sich einen Namen gemacht, auf diese Weise hebt er sich von der Masse ab. Und das eigentlich durch Zufall. „Ich hatte ein Job-Angebot des Restaurant-Theaters 'Pomp, Duck & Circumstance' erhalten, das noch die Rolle eines bösen Steuerfahnders zu vergeben hatte. Irgendwann hat diese Figur dann ein Eigenleben entwickelt, so dass ich mich seitdem auch in Solo-Programmen mit der Geldproblematik auseinandersetze.“ Eigentlich ein unglaublich trockenes Thema. „Ja, und auch ein sehr komplexes. Deshalb suche ich immer nach passenden Übersetzungen ins reale Leben. Dann wird es nämlich erst so richtig spannend. Mich überrascht eigentlich vor allem, dass sich kaum andere Kollegen intensiver damit beschäftigen.“

Tatsächlich nutzt Meyer die selbst von Experten kaum noch zu verstehenden Finanzströme nur als Türöffner. Ihn interessiert, was Geld mit der Gesellschaft anstellt und in welchen Schein-Welten wir mitunter agieren. „Schauen Sie sich doch einmal an, wie wir zum Beispiel Krankenschwestern und Pflegepersonal bezahlen“, sagt er. „Dann merkt man, dass das Leben offenbar nicht mehr viel wert zu sein scheint.“ Kein Wunder, wenn Menschen nur noch als Nummern im System auftauchen und ihre Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte zu Störfaktoren werden. Aber kein Problem: Ein Klick, und alles ist weg. „Es ist schon interessant, wenn man bedenkt, dass Menschenopfer als erste Form von Währung angesehen werden können“, kommentiert Meyer dies. „Diese waren gewissermaßen die Bezahlung an die Götter, entweder um diese im Vorfeld milde zu stimmen oder um eine Schuld zu begleichen.“ Sind wir gar nicht mehr so weit von entfernt, auch wenn die Götter durch Banken ersetzt worden sind. Eine bittere Pille, die es da zu schlucken gilt. „Ja, das Thema ist schmerzhaft. Aber auch wichtig. Gerade deshalb versuche ich, es unterhaltsam zu vermitteln und es auf schlichte und komische Elemente herunterzubrechen. Ich sehe mich dabei sowohl als Aufklärer als auch als Clown – und das funktioniert auch nur deshalb, weil ich mich an die Grundformel von Humor als Summe von Schmerz und Zeit halte. Wenn man über etwas lachen kann, ist es nicht mehr ganz so schlimm.“

Mit dieser Einstellung hat Chin Meyer bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Nach eigenen Angaben war er bereits Taxifahrer, DJ, Masseur, Heilpraktiker und Musical-Sänger, ein paar Monate lang sogar professioneller Roulette-Spieler. „Ich war gewissermaßen der Beamte des Roulettes, denn ich habe ein ganz schlichtes und langweiliges System gespielt. Eine Zeit lang hat das sogar ganz gut funktioniert – und dann irgendwann nicht mehr.“ Es spricht für Meyer, dass er danach ohne Weiteres aufhören konnte. „Ich kann natürlich gut verstehen, dass der Reiz, etwas zu riskieren und mit etwas Glück richtig abzusahnen, schon groß ist. An der Börse läuft das ja häufig genau so ab. Da merkt man dann aber auch, dass die ganzen Profis völlig ausblenden, wie viel Leid sie damit mitunter verursachen. Das ist der Sieg des Kapitals über den Menschen.“

Und was wäre, wenn irgendwann tatsächlich mal das Geld abgeschafft werden würde, so wie etwa in Gene Roddenberrys Star Trek-Utopie? „Ich habe keine Ahnung, ob so ein System überhaupt funktionieren könnte“, sagt Meyer. „Aber wenn es tatsächlich dazu käme – nun, dann würde ich wahrscheinlich ein 'No-Money-Kabarett' machen oder mich den wichtigen Fragen des Menschseins widmen. Wir machen so viel Aufhebens um Dinge, die eigentlich gar nicht zählen. Eigentlich ist doch der Zustand unseres Bewusstseins das einzig wirklich Relevante. Wenn wir das Leben genießen können, dann sind wir wirklich reich.“

Donnerstag, 16.02.2017

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