Kunst - Kammerspiele - kultur 132 - Januar 2017

Kunst
Foto: Thilo Beu
Kunst
Foto: Thilo Beu

Geistreiche Komödie


Mit ihrem Stück Kunst wurde die Französin Yasmina Reza zur meistgespielten und bestverdienenden Dramatikerin der Gegenwart. Dass ihre 1994 in Paris uraufgeführte Komödie – 1997 war Kunst, inszeniert von ­Christian Stückl, bereits ein Renner in den Kammerspielen – nichts von ihrer Frische verloren hat, beweist nun die neue Vorstellung. Tiefschürfende Regieanstrengungen und dekonstruktive Verfremdungen verträgt dieses gern dem gehobenen Boulevard zugeordnete Kunststück kaum. Die Inszenierung von Jens Groß, leitender Dramaturg am Bonner Schauspiel, setzt deshalb auch auf Leichtigkeit, Tempo, treffsichere Pointen und vor allem ein großartiges Schauspielertrio.
Benjamin Berger, Hajo Tuschy und Sören Wunderlich sind Serge, Marc und Yvan, deren langjährige Männerfreundschaft zu zerbrechen droht. Denn Serge hat sich ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde, ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig, vollkommen weiß. Ein echter „Antrios“ aus den 70er Jahren. Zum stolzen Preis von 200.000 Euro. Strahlend schleppt er die Riesenkiste in den Loft-ähnlichen Raum mit hohen Backsteinmauern, den Emilia Schmucker (Bühne und Kostüme) auf die Kammerspielbühne gebaut hat. Links gibt es leicht erhöht eine Art Küchenblock mit Barhockern und einem Kühlschrank. Typisch männlich gefüllt mit einem ordentlichen Biervorrat und wenig sonst.
Benjamin Berger spielt hinreißend den friedlich geschiedenen Dermatologen Serge, der sich mit seinem monochromen Gemälde quasi eine Eintrittskarte ins kultivierte Bildungsbürgertum verschafft hat. Geläufig zitiert er die gängigen kunsttheoretischen Begriffe und Senecas bei Managern beliebte Schrift Vom glücklichen Leben. Dauernd steigt er – nicht ohne vorher brav die Stiefel auszuziehen – auf das schwarze Ledersofa, um seinen Schatz ins rechte Licht (Lichtgestaltung: Kasper Hagen) zu rücken oder vor unwürdigen Augen wieder zu verstecken. Hajo Tuschy als glatzköpfiger Freund Marc, Ingenieur der Aeronautik, ist der spitzzüngige Misanthrop, der Serges Neu-Erwerb schnöde als „weiße Scheiße“ abtut. Ein Objektivitätsfanatiker, der sich ständig die von Lebensgefährtin Paula empfohlenen Pharmaprodukte einwirft, um nicht auszurasten angesichts der Demontage seiner intellektuellen Deutungshoheit, die Serge ihm mit seinem Kunstkauf zugemutet hat.
Zwischen den beiden Kampfhähnen zu vermitteln sucht Sören Wunderlich als blondgelockter, hypochondrischer Verlierertyp Yvan kurz vor der Einheirat ins florierende Papiergeschäft. Tapfer bestätigt er Serges ästhetische Vibrationen beim Anblick des Bildes und sucht ansonsten immer irgendwas Verlorenes. Seine virtuose Leidensarie über Dauertelefonate mit Braut, Mutter und Stiefmüttern ist ein Höhepunkt im emotionalen Chaos, das nach dem witzigen verbalen Schlagabtausch mit wechselnden Bündnissen zu echten Handgreiflichkeiten führt.
Eine köstliche Überraschung: Auf dem Siedepunkt der Selbstbewusstseins-Krise tragen alle drei die gleichen grünen Designer-Anzüge mit schwarzen Hemden. Denn sie wollen sich individuell unterscheiden und sind einander genau deshalb so ähnlich. Ansonsten laufen sie zur Schonung des Designer-Inventars ihrer Wohnungen gern auf Socken herum. Nur ein Detail in den wunderbar ausgefeilten Charakterstudien, die Regisseur Groß den Schauspielern gönnt. Ab und zu treten sie, wie im Text vorgesehen, aus ihren Rollen, um sich direkt ans Publikum zu wenden. Das funktioniert hier ebenso sicher wie der brillante Konversationston der gesamten Aufführung. Am Ende werden die Herren ihren Streit einfach unter Lachen begraben und ein Pariser Restaurant mit feiner Lyoneser Küche aufsuchen. Zuvor hat Serge sein teures Bild einem Freundschaftsbeweis ausgeliefert. Es wird dennoch wieder in seiner ganzen unschuldigen Weißheit erstrahlen, angereichert mit der Weisheit, dass Kunst und Freundschaft ein Quantum Ungewissheit brauchen. Manchmal auch ein bisschen Trost. Yvans Hirsch im Schnee, Marcs abstrakt-expressive Ansicht von Carcassonne und Serges weiße Leere sind bloß Facetten einer subjektiven Kunstwahrheit. Obwohl es gar nicht um die üblichen Vorurteile gegenüber der modernen Malerei geht, sondern um eine komplizierte männliche Beziehungskiste mit herrlich abgründig-lächerlichen Situationen. Eine „Versuchsperiode“ halt.
Ganz nebenbei auch eine Stärkung des Vertrauens in das Schauspiel Bonn, das mit Kunst beweist, wie ungekünstelt ein intelligentes Kammerspiel auf seiner verbliebenen großen Bühne möglich ist. Überzeugter Premierenbeifall. E.E.-K.

Spieldauer ca. 100 Minuten, keine Pause
Die nächsten Vorstellungen:
29.12.? 31.12.16 ? 7.01. ? 14.01. ? 19.01. ? 27.01. ? 11.02. ? 25.02.17

Dienstag, 24.01.2017

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