Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Alois Reinhardt - kultur 128 - Juli 2016

Alois Reinhardt
Foto: Thilo Beu
Alois Reinhardt
Foto: Thilo Beu

Robbi, ein Kammerjäger und die Reise ins Herz der Finsternis

Den jungen Roboter mit dem roten Lego-FlieWaTüüt haben in dieser Spielzeit alle Kinder ins Herz geschlossen. „Wahrscheinlich war das bisher meine größte Rolle in den Kammerspielen – auf jeden Fall die mit den meisten Vorstellungen“, sagt Alois Reinhardt und lacht. „Ganz im Ernst, für Kinder zu spielen, ist eine wichtige Aufgabe und macht Spaß, auch wenn mein Anspruch an komplexe, künstlerische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen dabei nicht voll auszuschöpfen ist. Eigentlich sollten alle Menschen früh schon Theatererfahrungen machen, als Zuschauer oder als Spieler. Das Theater ist einer der letzten Orte, wo man sich noch wirklich auf den Menschen konzentriert. In der aktuellen Kulturpolitik wird leider viel zu oft übersehen, dass wir Kulturschaffenden keine Bittsteller sind, sondern ein Angebot machen, zusammen mit dem Publikum die Welt zu untersuchen.“
Reinhardt wurde 1981 in der Schweiz geboren und wuchs mit fünf Geschwistern auf einem Bauernhof auf. „Ich bin ein Familienmensch und mag es, wenn die Chemie untereinander stimmt wie bei unserem ganzen Bonner Schauspiel-Team. Theater ist grundsätzlich lebendige Kommunikation, die über Bilder, Bewegung, Emotionen, Sprache und Klänge läuft.“ Für sich entdeckt hat er das mit zwölf Jahren. „Ein Freund meines Vaters war Schauspieler am Theater Kanton Zürich, einer Wanderbühne, die in der ganzen Region unterwegs ist. Weil gerade eine jugendliche Rolle zu besetzen war, lud er mich ein mitzuspielen. Ich habe dann noch bei weiteren Produktionen auf der Bühne gestanden und begriffen, dass das ein richtiger Beruf ist.“
Nach mehreren Schulwechseln trat das Theater aber erst mal in den Hintergrund. „Die Motivation kam wieder, als ich mit einem Stipendium an einer Privatschule landete, wo man sich nach eigenen Interessen den Stundenplan zusammenstellen und frei in Lernateliers arbeiten konnte. Ich hatte sogar eine persönliche Berufsberaterin, die mir eine Ausbildung zum Theatermaler empfahl.“ Die entsprechende Lehre schloss er am Theater St. Gallen mit einem Diplom ab. In den Malersaal von Theater Bonn schnuppert er deshalb gern öfter rein. Zumal er die konkrete Sinnlichkeit von künstlerischen Prozessen schätzt („inklusive gemeinsamem Essen und Trinken, was angesichts der beschränkten Möglichkeiten der Kammerspiele etwas Fantasie erfordert“). Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Hochschule für Musik und Theater Bern. Schon als Student arbeitete er mit der amerikanischen Choreografin Meg Stuart zusammen und besuchte diverse Tanz-Workshops. „Diese körperliche Aus­drucks­form hat mich sehr fasziniert. Tänzer wollte ich jedoch nicht werden. Denn als Schauspieler hat man deutlich mehr gestalterische Freiheit.“
Einen Karriereschub brachte das Treffen deutschsprachiger Schauspielschulen 2006 in München. Die Berner Produktion Living in Oblivion erhielt gleich mehrere Preise. Alois Reinhardt und sein Freund Roland Bonjour wurden eingeladen, bei der Diplom-Inszenierung von Robert Borgmann an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule mitzuwirken. Dort trafen sie den Schweizer Regisseur Mark Zurmühle, Intendant am Deutschen Theater Göttingen, der sie ins feste Engagement an seine Bühne holte. Von 2007 bis 2011 gehörte Reinhardt zum Ensemble des DT. „Es war eine wunderbare Lehrzeit. In Göttingen steht das Theater wirklich im Zentrum der Stadt und der Bürger, und niemand käme auf die Idee, seine Existenzberechtigung anzuzweifeln.“
In der Regie von Zurmühle spielte er die Titelrolle in Shakespeares Macbeth und wurde dafür 2009 mit dem Nachwuchsförderpreis ausgezeichnet. Geprägt haben ihn außerdem die Regisseurin Christina Friedrich, in deren Inszenierungen von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald und Rummelplatz nach dem Roman des DDR-Autors Werner Bräunig er größere Rollen spielte. In der Regie von Felix Rothenhäusler spielte er den Lehrer in Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Eine große Herausforderung war 2010 der Raskolnikow in Thomas Bischoffs vierstündiger Inszenierung von Dostojewskis Verbrechen und Strafe. In Alice Buddebergs Göttinger Dekonstruktion von Kabale und Liebe war er der liebes- und lebensverzweifelte Ferdinand. Buddeberg empfahl Reinhardt der Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp für das neue Bonner Schauspiel-Ensemble. 2013 stellte er sich hier in den Kammerspielen in Buddebergs Inszenierung von Karl und Rosa dem Bonner Publikum vor. In der Rolle des toten Hannes bzw. des gespens­tisch tänzelnden Satan überzeugte er sofort.
In den beiden Jahren zuvor war er als freier Schauspieler und Performer in Berlin tätig. Internationale Theaterprojekte mit der Gruppe „suite42“ führten ihn u.a. nach Palästina und Marokko. „Die intensive Begegnung mit Künstlern aus anderen Kulturen war eine wichtige Erfahrung. Die Kraft der Kunst ist überall spürbar. Durch den direkten Kontakt erlebt man, dass ein Mensch immer tausendmal vielschichtiger und reicher ist als das Bild, das wir uns voneinander machen. Man begreift dann auch, welchen Wert wir hier mit unserer vielfältigen Theaterlandschaft besitzen.“
Seine nächste Rolle ist der Christian in den Buddenbrooks. Regie führt Sandra Strunz, die in Bonn zuletzt mit Hiob einen großen Erfolg feierte. Premiere der Bühnenbearbeitung von Thomas Manns Roman in den Kammerspielen ist zwar erst im November, aber etliches muss schon vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden. Zum Ensemble gehört auch eine Tänzerin aus der Truppe des berühmten belgischen Choreographen Alain Platel. „Es wird also eine Produktion, die viel mit körperlicher Bewegung zu tun hat.“
Am Abend nach unserem Gespräch steht die Wiederaufnahme von Schöne neue Welt an, in der Reinhardt den intelligenten Außenseiter Bernard Marx verkörpert. „Die Aufführung ist eine wundervolle Herausforderung, weil wir keine klassischen ‚Rollen‘ verkörpern, sondern uns konzeptionell mit Figuren auseinandersetzen, die in einer ‚künstlichen Welt‘ leben.“ Als sein „Herzstück“ bezeichnet er Herz der Finsternis, das Anfang Juni seine Derniere in der Halle Beuel erlebte. „Die Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus hat mich sehr beschäftigt, gerade weil ich gern die Blickwechsel zwischen den Kontinenten untersuche.“ In Shakespeares Königsdramen tauchte er als Haudegen Percy und als Königin Elisabeth auf. In der Werkstatt spielte er u. a. die Titelrolle in Die Opferung des Gorge Mastromas und ist noch bis Anfang Juli zu erleben als eleganter Kammerjäger in der makabren Farce Draußen rollt die Welt vorbei.
Reinhardt mag die anregende internationale und gleichzeitig überschaubare Stadt Bonn und den Stadtteil Bad Godesberg, wo er mit seinem siebenjährigen Sohn Hektor wohnt. Dessen Mutter, die Schauspielerin Katharina Heyer, lernte er in Göttingen kennen. Sie lebt in Berlin, kommt aber regelmäßig nach Bonn, um ihr Kind zu besuchen. „Wir Theaterleute sind das Reisen ohnehin gewohnt. Kreativität ist nicht an einen Ort gebunden. Sie kann überall sein und nährt sich vom Austausch. Ich schaue jedoch zuversichtlich in die Zukunft und freue mich auf die kommende Saison.“

Donnerstag, 13.10.2016

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