Die Vermessung der Welt - Kleines Theater Bad Godesberg - kultur 127 - Juni 2016

Die Vermessung der Welt
Foto: Kleines Theater Bonn
Die Vermessung der Welt
Foto: Kleines Theater Bonn

Zwischen Größe und Lächerlichkeit

Der Kongress der „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“, die übrigens heute in Bad Honnef residiert, 1828 in Berlin, ist historisch verbürgt. Der Naturforscher Alexander von Humboldt und der Mathematiker Carl Friedrich Gauß waren die prominentesten Mitglieder des ehrwürdigen Vereins und stehen für den Beginn des modernen wissenschaftlichen Denkens. Die beiden genialen Denker stehen im Mittelpunkt des mittlerweile auch erfolgreich verfilmten Roman-Bestsellers Die Vermessung der Welt von Daniel Kehlmann. Trotz aller dokumentarischen Einsprengsel ist dieses Werk freilich literarische Fiktion. Die berühmten Helden der Wissenschaft erscheinen sehr menschlich auf ihren ganz unterschiedlichen Lebens- und Denkwegen. Zwei schillernde Figuren, komisch weltfremd trotz ihrer weltbedeutenden Erkenntnisse.
Die höchst unterhaltsame Inszenierung von Stephanie Jänsch spielt geschickt mit dem ironischen Ton des dialogisch aufgebauten Romans. Der Schauspieler Tino Leo übernimmt lässig die Erzählerfunktion, wenn er nicht gerade Humboldts enervierten Reisebegleiter Bonpland oder Gauß‘ braven Sohn Eugen verkörpert. In der Ausstattung von Christian Baumgärtel ist der Chimborazo auf ein Globus-Hügelchen geschrumpft, unter dem allerhand Bühnenfiguren hervorkriechen. Nach ganz oben zieht es notorisch den begnadeten Selbstdarsteller Humboldt. Stephan A. Tölle spielt wunderbar witzig zwischen kauziger Jovialität und todesmutiger Neugier den adeligen Weltreisenden, der nur der eigenen Anschauung vertraut, mit seinem Zollstock in jedes Erdloch krabbelt, Läuse zählt und wenig versteht, weil er alles handfest begreifen muss.
Für solche Eskapaden hat der in bitterer Armut aufgewachsene Gauß wenig Sinn. ­Makke Schneider gibt dem unerschütterlich missgelaunten trotz aller Grantelei etwas Berührendes. Gegen den eher robus­ten Humboldt ist er der feinsinnige Theoretiker, der immer ein schützendes Mützchen für seinen brillanten Kopf braucht. Dem Landvermesser und Sternenforscher ist die Kutschfahrt nach Preußen schon zu viel, während sein universal gebildeter Kollege auf fast allen Kontinenten unterwegs ist. Zugegeben, bei dessen ‚spanischer‘ Übersetzung von „Wandrers Nachtlied“ hätte selbst Goethe gelacht. Der Dichterfürst aus Weimar erscheint sogar persönlich im römischen Gewand auf der Bühne. Matthias Kiel mimt ihn ebenso köstlich wie den altersdebilen Kant und zahlreiche weitere Figuren. Der quirlige Wolf Guido Grasenick erscheint u.a. als reiselustiger Georg Forster, Wahrsager und gefiederter südamerikanischer Minister. Eva Wiedemann ist das weibliche Element (u.a. Mutter Gauß, die treue Gattin Johanna Gauß), mit dem die weltvermessenden Herren nicht so viel anfangen konnten. Gauß war eine mathematische Formel deutlich wichtiger als eheliche Zuwendung.
Es war mit Sicherheit nicht alles so, wie es hier dramatisch temporeich mit Rückblenden und politischen Ausblicken berichtet wird. Dabei gelingt es bei aller prallen Komik fabelhaft, die beiden gegensätzlichen Forschertypen nicht zu veralbern. In all ihrer ehrgeizigen Vermessenheit und ­mensch­lichen Unbeholfenheit haben sie unser Weltbild geprägt. Und es war ein Vergnügen, ihnen bei ihrer kurzweiligen Theater-Existenz dabei zuzuschauen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2¼ Std. inkl. Pause
die letzten Termine : 27. - 30.05.16

Den Spielplan des Kleinen Theaters für die neue Spielzeit finden Sie auf Seite 12.

Donnerstag, 06.10.2016

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