Boulevard der Dämmerung - Theater Die Pathologie - kultur 127 - Juni 2016

Boulevard der Dämmerung
Foto: Jürgen Klack
Boulevard der Dämmerung
Foto: Jürgen Klack

Zwielichtiges Kammerspiel



Sie waren Kino-Stars, bevor ihre Spielweise von der Leinwand verschwand.
„Wir brauchten keine Dialoge. Wir hatten Gesichter.“ Die vom Tonfilm überrollte einstige Stummfilm-Diva Norma Desmond gibt jedoch nicht auf. Sie will die Salome spielen bei ihrer glanzvollen Rückkehr auf die Leinwand. Als ihr der Zufall einen mittelmäßig begabten Drehbuchautor in die verfallene Villa in Beverly Hills spült, greift sie zu und schließlich zur Pistole.
Die berühmte Leiche im Swimmingpool gibt es nicht in der Bühnen­adaption von Billy Wilders legendärem Filmdrama Sunset Boulevard im kleinen Südstadt-Kellertheater Die Pathologie. Der Regisseur Martin-Maria Vogel macht aus dem Kinoklassiker, der 1950 die Traumfabrik Hollywood mit ihren eigenen Mitteln brillant ad absurdum führte, ein zwielichtiges Kammerspiel. Im sparsam möblierten Bühnenbild von Julian Rohde markieren drei marmorierte hohe Sockel die Salon-Eleganz der Vergangenheit. Die Wirklichkeit versteckt sich hier hinter realen Außentüren und Fluren mit überraschenden Auftrittsmöglichkeiten zwischen Finsternis und Scheinwerferlicht. Wie im Film herrscht beständig Nacht mit Regen und Gewitterstürmen (Co-Regie, Licht- und Tontechnik: Marek Maliszewski) in diesem künstlichen Universum der verloschenen Stars.
Den Stern von Gloria Swanson muss Karin Kroemer überhaupt nicht aufpolieren, weil sie furchtlos eine schillernde Hollywood-Heroine mit ins Absurde gesteigerter tragikomischer Fallhöhe verkörpert. Raffiniert spinnt die einsame Exzentrikerin ihr Netz aus Geld und Ruhm, lockt mit echten Diamanten und falschen Perlen, die sie unverschämt aus dem Handgelenk verstreut nach dem strategisch perfekten Suizidversuch. Immerhin teilt die Dark Lady zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen ihre Neigung zu starken Getränken mit dem treuen Butler Max, im Film genial unerschütterlich gemimt von Erich von Stroheim. Hier spielt Regisseur Vogel die Rolle des geheimnisvollen Faktotums selbst. Leicht hinkend im zu weit gewordenen Frack und mit braunen Schuhen, die so gar nicht zur früheren Noblesse seiner Erscheinung passen. Oft geistert er sprachlos durch die Szenerie. Vogels Theaterversion arbeitet mit filmisch harten Schnitten und setzt suggestiv stumme Blacks zwischen die dramatischen Bilder.
Es ist die Geschichte von Joe Gillis (im Film: William Holden), der hier jedoch nicht als postmortaler Erzähler erscheint. Gerd Ras­tenbeck spielt überzeugend den nicht mehr ganz jungen Autor, der naiv in ein gefährliches Abenteuer stolpert und schwankt zwischen Faszination und Widerwillen. Spätestens bei der bizarren Silvesterfeier mit Norma wird klar, dass er der Hohen Priesterin des Götzen Hollywood zum Opfer fallen wird. Da kann der nette American Boy gern den Smoking gegen Shorts tauschen und seine Nächte mit einer kleinen Produktionsassistentin verbringen. In Normas Phantasie ist er Jochanaan, nach dessen lilienweißem Leib die junge Herodes-Tochter verlangt. Mit aufgelöstem grauem Haar mutiert Kroemers Norma zu einem Salome-Gespenst, das triumphierend die Meute der Journalisten erwartet: „I am ready for my close-up.“ Zwei Gnadenschüsse aus dem Off beenden die Engführung der wahnsinnigen Norma-Figur mit Oscar Wildes schwüler Salome-Geschichte, die die Inszenierung intelligent hervorhebt.
Großes Kino auf einer Minibühne! E.E.-K.

Spieldauer ca. 70 Min., keine Pause
die nächsten Termine : 15.06. + 16.06.16
Wird in die neue Spielzeit übernommen.

Donnerstag, 06.10.2016

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn